Probleme der psychiatrischen Diagnostik

In der psychiatrischen Diagnostik treten Probleme auf, wie sie in der medizinischen Diagnostik nur in Teilbereichen bekannt sind.

Dies kommt daher, weil psychische Störungen nicht auf Grundlage von physischen Parametern diagnostisch erfasst werden können, sondern nur auf Grundlage von psychischen Phänomenen bzw. psychopathologischen Phänomenen.

Im Gegensatz zu gewissen körperlichen Parametern, die physisch bzw. physikalisch (physiologisch, biologisch, biochemisch, bildgebend etc.) erfasst werden können ist dies bei psychischen Phänomenen nicht möglich, diese können nicht auf Grundlage von körperlichen Befunden objektiv gültig diagnostisch erfasst und bestimmt werden, sondern sie können nur durch Ideen vermittelt durch die Schemata der Ideen in Bezug auf (definierte) Typen (vgl. mit Jaspers Zitat) erkannt und in der Diagnostik bestimmt werden.

Diesen Sachverhalt hat der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers auf Grundlage der Philosophie von Immanuel Kant realisiert und in seinem Buch „Allgemeine Psychopathologie“ erstmals ab der 4. Auflage aufgezeigt (vgl. mit Jaspers Zitat); (Weiteres dazu auf Poster 6: Diagnosis in Psychiatry – the Role of Biological Markers – an investigation in the light of Immanuel Kant`s philosophy).

Mit Worten bzw. Begriffen von Immanuel Kant kann man auch sagen, dass psychische Erscheinungen nur durch die Begriffe der Ideen und daher nur durch  systematische Einheiten erkannt und daher nur subjektiv gültig erkannt und bestimmt werden können (vgl. mit Kant Zitat 7).

Ein psychisches Phänomen erscheint als mentales Erkenntnisobjekt bzw. als der Begriff der Idee im Bewusstsein der erkennenden Fachperson als systematische Einheit (vgl. mit Kant Zitat 7) und es hat ein solches Erkenntnisobjekt  weil es sich bei einer psychiatrischen Idee um eine bloße Idee handelt, keinen direkten Bezug zu einem körperlichen Objekt. Daher kann man ein solches Erkenntnisobjekt/Phänomen nicht objektivieren.

Man kann ein psychisches Phänomen nicht auf Grundlage von körperlichen bzw. nicht auf Grundlage von physischen Befunden erkennen und objektiv gültig bestimmen.

Ein psychisches Phänomen kann nur vom erkennenden Subjekt und daher nur subjektiv gültig auf der Ebene des personalen Bewusstseins, also nur auf der „Ebene der Ideen“ erkannt und bestimmt werden. Daher ist solches Wissen bzw. solch eine Erkenntnis nur subjektiv gültig respektive nur subjektiv gewiss (vgl. mit Kant Zitat 9).

In der Erkenntnisbasis findet sich also der tiefer liegende Grund warum man eine psychische Störung und damit eine psychiatrische Diagnose – und generell ein psychisches Phänomen/psychopathologisches Phänomen bzw. den psychischen Befund (psychiatrischen Befund) – nicht physisch begründet bestimmen und daher nicht objektivieren kann.

Es gründen sich die Erkenntnisse in der Psychiatrie also auf psychiatrische Ideen, die so wie psychologische Ideen bloße Ideen im Sinne von Immanuel Kant sind (vgl. mit Kant Zitat 4). Diese Ideen – die Jaspers auch als Ideen im Kantischen Sinne bezeichnet (vgl. mit Jaspers Zitat 6) kann man grundsätzlich nicht auf ein Objekt zurückführen, das heißt man kann solches Wissen nicht objektivieren.

An der Basis des Wissens findet sich also der tiefer liegende Grund warum in der psychiatrischen Diagnostik Probleme auftreten wie sie in der medizinischen Diagnostik  nur in Teilbereichen vorkommen, nämlich dort, wo eine medizinische Diagnose – so wie eine psychiatrische Diagnose – sich auf Symptome und auf nicht objektivierbare (körperliche) Phänomene gründet bzw. wo die medizinische Diagnose sich auf die klinische Erscheinung respektive auf das klinische Erscheinungsbild gründet.

Daher kann eine phänomenologische Diagnose in der körperlichen Medizin – so wie in der Psychiatrie – nicht objektiviert werden.

Am Beispiel des im Internet aufrufbaren Artikels von Barbara Diepold zur:  „Problematik der Diagnostik der Borderline-Störungen im Kindesalter“ – wird dieser Sachverhalt deutlich.

Man kann anhand dieses Artikels erkennen, wie die Anwendung von unterschiedlichen Konzepten bzw. die Anwendung von unterschiedlichen Ideen – die auf den Sachverhalt projiziert werden – zu unterschiedlichen diagnostischen Ergebnissen führt.

Demgemäß kann man auch sagen, dass hier unterschiedlich definierte projektierte Einheiten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Karl Jaspers hat in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) diesen Sachverhalt erkannt, wenn er in seinen Buch „Allgemeine Psychopathologie“ aufzeigt, dass in diesem Bereich das Wissen durch Ideen und unter Führung von Ideen gewonnen wird, und ich mich dem Ganzen als Idee durch das Schema der Idee nur nähern kann (vgl. mit Jaspers Zitat).

Jaspers hat also richtig erkannt, dass es sich bei den Ideen in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) um Ideen im Sinne von Immanuel Kant handelt (vgl. mit Jaspers Zitat).

Wie man sich überzeugt handelt es sich bei diesen fachlichen Ideen um bloße Ideen die innerhalb eines Systems bestehend aus gleichartigen systematischen Einheiten definiert worden sind. Man kann die einzelne diagnostische Einheit hier also nur durch das Schema der Idee erkennen und in Bezug auf den (definierten) Typ bestimmen (vgl. mit Jaspers Zitat). Man kann auch sagen: es handelt sich hier um regulative Begriffe die auf der „Ebene der Ideen“ auf Grundlage der klinischen Erfahrung und durch vernünftige Überlegung als begrifflich abgegrenzte Einheiten erkannt und in Bezug auf ihre Grenzen – mental begründet – definiert worden sind. Und weil diese diagnostischen Einheiten in einer gegenseitigen Relation stehen „regeln“ sie sich durch diese regulativen Begriffe (vgl. mit Kant Zitat 4).

Da man eine solche Einheit bzw. eine solche Idee nicht „physisch“ überprüfen kann – ist es nur möglich sie auf der Ebene der Vorstellungen – also nur meta-physisch – somit nur mental – also nur geistig zu prüfen. Man kann also nur auf der „Ebene der Ideen“ geistig abschätzen bzw. „geistig messen“ ob die in Erwägung gezogene Idee zutreffend ist – ob etwa die diagnostischen Kriterien einer psychiatrischen Kategorie der psychiatrischen ICD-10 Klassifikation (oder der DSM-V Klassifikation) durch den Sachverhalt hinreichend erfüllt werden, oder ob dies nicht der Fall ist.

Man kann also – so wie dies Jaspers treffend erkannt hat – in der Psychiatrie nur durch ein methodisches Hilfsmittel bzw. nur in Bezug auf den (definierten) Typ den Sachverhalt erkennen und annähernd (vgl. mit Jaspers Zitat) und bestimmen, ob die in Erwägung gezogene  diagnostische Einheit – und damit etwa eine gewisse psychiatrische Einheit zutreffend ist oder nicht.

Mit nochmals anderen Worten: man kann als Psychiater/Psychiaterin nur durch ein definiertes psychiatrisches Konzept den psychischen Sachverhalt erkennen und bestimmen.

Die Tatsache, dass das psychiatrische Wissen nur auf der Ebene der Vorstellungen gewonnen werden kann, hat zur Folge, dass solches Wissen immer eine nur relativ gültig und keine absolute Erkenntnis ist. Dessen sollte man sich in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) bewusst sein, wie sich dies aus der Struktur bzw. der Basis des Wissens ergibt. Wenn man sich des inneren Aufbaus des Wissens der Psychiatrie als praktische Disziplin der Heilkunde und als Wissenschaft bewusst ist, dann ist man sich auch der damit verbundenen Beschränktheit des psychiatrischen Wissens bewusst, dann wird man diese Ideen relativistisch verwenden (vgl. mit Kant Zitat 4). Als Folge der angemessenen Verwendung der Ideen wird man weder in der psychiatrischen Praxis noch in der psychiatrischen Wissenschaft in Widersprüche (Antinomien) geraten (vgl. mit Jaspers Zitat).

Man kann die Widersprüche in der Psychiatrie also nur vermeiden, wenn man die Grundlage des psychiatrischen Wissens beachtet und berücksichtigt. Daher sollte man psychiatrisches Wissen nicht wie faktisches Wissen ansehen, und man sollte daher das Wissen in der Psychiatrie im konkreten Fall in der Schwebe halten, wie dies Karl Jaspers gefordert hat (vgl. mit Jaspers Zitat 2). Und es wird damit auch klar und verständlich warum Jaspers die Methodenbewusstheit gefordert hat.

In der Psychiatrie (Psychologie, Psychotherapie und ebenso in der Psychosomatik und auch in Teilbereichen der Medizin, hier insbesondere auch in der Neurologie) sollte man sich also der Erkenntnisbasis bewusst sein. Man sollte sich dessen bewusst sein, dass das erlangte Wissen relatives Wissen und damit beschränktes Wissen ist, weil es durch bloße Ideen gewonnen worden ist – dann werden keine Widersprüche auftreten, dann wird man die gewonnenen Ideen flexibel und angemessen verwenden. Gerade das bedeutet eine Idee relativistisch verwenden (vgl. mit Kant Zitat 4 und mit Kant Zitat 3a).

Zusammengefasst kann man also sagen, dass die Probleme in der psychiatrischen Diagnostik – und viele Probleme in der psychiatrischen Wissenschaft – sich aus der Grundlage des psychiatrischen Wissens, somit aus der Erkenntnisbasis ergeben. Während die objektiv bestimmbaren medizinischen Diagnosen auf der Grundlage von physischen Fakten bzw. auf Grundlage von physischen Parametern (Parametern von Objekten) stammen und diese allgemein gültig bestimmt werden können, ist dies bei den psychiatrischen Diagnosen grundsätzlich nicht möglich. Psychische Störungen und damit psychiatrische Diagnosen können nur auf Grundlage von Ideen durch die Schemata der Ideen (Karl Jaspers vgl. mit Jaspers Zitat) erkannt werden. Man kann eine psychische Störung nur auf der Grundlage von mentalen Erkenntnisobjekten – nämlich nur durch den Begriff der Idee (vgl. mit Kant Zitat 7) in der Diagnostik  subjektiv gültig erkennen und bestimmen. Man kann die erlangte Idee nur durch das Abwägen (Ponderieren der Ideen) und daher nur mit der philosophischen Methode der Dialektik auf der Grundlage der Unterschiede der Ideen subjektiv gültig erkennen und bestimmen. Dabei erscheint der Begriff der jeweiligen Idee als systematische Einheit im Bewusstsein der erkennenden Person, wenn diese den Sachverhalt durch das Schema der Idee geistig auffasst. Durch körperliche Befunde, etwa solche wie sie mit der Methode der Funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) erlangt werden können, kann man gewisse psychische Störungen zwar besser verstehen und sie damit besser erklären, aber diagnostisch bestimmen kann man sie dadurch nicht (Weiteres dazu auf Poster 6 präsentiert am DGPPN Kongress 2010 in Berlin).

Weiteres, insbesondere über Konsequenzen in Folge der Basis des Wissens im blog: Konsequenzen.

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und auch in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im Verlag tredition, April 2019

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(letzte Änderung 20.03.2020, abgelegt unter Diagnostik, Psychiatrie, Konsequenzen, Struktur)

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weiter zum Beitrag: Eine psychiatrische Diagnose kann durch eine Idee nur in Bezug auf einen definierten Typus bestimmt werden

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weiter zum Beitrag: Die Bewegung im Denken in der Psychiatrie resultiert aus der Dialektik

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weiter zum Beitrag: Missverständnis einer psychiatrischen Idee

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weiter zum Beitrag: psychiatrische Diagnose – medizinische Diagnose – der Unterschied

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