phänomenologische Diagnose

Eine phänomenologische Diagnose ist eine Diagnose die die klinische Erscheinung erfasst.

Man kann daher auch sagen, dass die phänomenologische Diagnose das klinische Erscheinungsbild erfasst.

Demgemäß wird die phänomenologische Einheit durch die klinische Erscheinung bestimmt, die die Fachperson im Rahmen der Untersuchung durch das klinische Erscheinungsbild erkennt.

Man kann auch sagen: eine phänomenologische Diagnose ist eine Diagnose die auf Grund der klinischen Erscheinung gestellt wird.

So wird etwa in der Histopathologie die histopathologische Diagnose aufgrund des histopathologischen Bildes gestellt das im konkreten Fall der Histopathologe bei Betrachtung des mikroskopischen Bildes/Schnittbildes infolge der mikroskopisch sichtbaren Zellen und sonstigen Gewebestrukturen/Elemente erkennt (Beispiel: papilläres Schilddrüsenkarzinom oder follikuläres Schilddrüsenkarzinom).

Oder es wird in der Neurologie eine neurologische Diagnose, die in vielen Fällen eine phänomenologische Diagnose ist, durch den neurologischen Symptomenkomplex in der neurologischen Diagnostik erkannt und bestimmt (Beispiel: Migräne, Spannungskopfschmerz oder sonst eine Form eines primären Kopfschmerzes).

Man kann auch sagen: eine phänomenologische Diagnose gründet sich auf den phänomenologischen Befund und diese diagnostische Einheit ist daher eine phänomenologische Einheit.

Entweder wird die phänomenologische Diagnose aufgrund der optisch/mikroskopisch sichtbaren Merkmale erkannt, die insgesamt sich als optisches/mikroskopisches Bild darstellen. Oder die phänomenologische Diagnose und damit die gesundheitliche Störung/Krankheit wird durch den Symptomenkomplexes erkannt und bestimmt. In diesem Fall wird die Diagnose also durch ein rein geistiges Bild erkannt und bestimmt. Dies trifft in einem derartigen Fall auch auf ein einzelnes Phänomen oder ein einzelnes Symptom zu.

(altgriechisch  φαινόμενον fainómenon – ”ein Erscheinendes, ein sich Zeigendes”)

In der Heilkunde ist eine phänomenologische Diagnose also eine Diagnose, die auf Grund der klinischen Erscheinung respektive aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes gestellt wird.

Dabei werden gewisse gesundheitliche Störungen (Krankheiten) primär durch die phänomenologische Diagnose erkannt, können sekundär jedoch auf eine faktische Diagnose zurückgeführt werden (Beispiel aus der Neurologie: die neurologische Störung: Hemiparese wird primär durch den neurologischen Symptomenkomplex als klinische Verdachtsdiagnose erkannt, kann sekundär aber zum Beispiel auf einen Infarkt der Arteria cerebri media zurückgeführt werden).

Eine phänomenologische Diagnose die nicht auf eine faktische Diagnose zurückgeführt werden kann, kann eine syndromale Diagnose sein, oder man kann auch sagen:  es kann dies eine funktionelle Diagnose sein.

Während bei einer ätiologischen Diagnose die Ursache und damit die Kausalität klar ist, weil der Grund der gesundheitlichen Störung auf Grundlage von objektiver Evidenz bzw. augenscheinlich evident und objektiv gültig damit allgemein gültig bestimmt werden kann, ist dies bei einer phänomenologischen Diagnose die nicht auf ein Faktum zurückgeführt werden kann nicht der Fall, weil diese nur auf Grundlage von subjektiver Evidenz und daher nur subjektiv gültig bzw. nur auf Basis von einleuchtender Evidenz respektive nur auf Basis von scheinbarer Evidenz erkannt und bestimmt werden kann.

Man kann daher bei einer phänomenologischen Diagnose die Ursache der gesundheitlichen Störung primär immer nur durch den Begriff der Idee erkennen, der als systematische Einheit im Bewusstsein der erkennenden Person als Gegenstand in der Idee erscheint (vgl. mit Kant Zitat 7), falls die erkennende Person die Merkmale der Idee durch das Schema der Idee (vgl. mit Kant Zitat 7) geistig auffasst.

Es handelt sich bei einer phänomenologischen Diagnose daher um eine subjektiv gültige Erkenntnis und es wird deswegen die phänomenologische Diagnose durch ein Wahrnehmungsurteil erkannt.

Daher kann man auch die Ursache der gesundheitlichen Störung, die durch eine phänomenologische Diagnose erkannt wird nicht als conditio sine qua non erkennen – sondern nur als komplexe Ursache, ausgenommen der Fall, in dem die gesundheitliche Störung sekundär auf eine faktische Ursache zurückgeführt werden kann.

In der Medizin gibt es viele phänomenologische Diagnosen, die auf diese Art und Weise auf Grundlage der klinischen Erscheinung bestimmt werden.

In der Inneren Medizin sind die Diagnosen: Fibromyalgie, Somatoforme Schmerzstörung, Fatigue Syndrom, vegetative Dystonie usf. phänomenologische Diagnosen die allein aufgrund der klinischen Erscheinung diagnostizierbar sind.

Eine solche medizinische Diagnose wird auf der Grundlage des körperlichen Symptomenkomplexes erkannt und bestimmt, ohne dass die Ursache der gesundheitlichen Störung näher bekannt und näher bestimmbar ist, weil es sich hierbei um eine komplexe Ursache handelt. Daher kann man eine phänomenologische Diagnose dieser Art nicht auf Grundlage der Ursache bestimmen – sondern, eben nur auf der Grundlage der klinischen Erscheinungen.

In diesem Sinn sind viele medizinische Diagnosen in universitären Medizin primär phänomenologische Diagnosen und es können gewisse davon, nachdem im Rahmen der Abklärung körperliche Befunde gefunden werden, diese auf eine faktische Diagnose zurückgeführt werden (Beispiel: Diagnose: unklare Brustschmerzen (= phänomenologische Diagnose) kann in die faktische Diagnose Herzinfarkt überführt bzw. zurückgeführt werden, nach dem die entsprechenden körperlichen Befunde (physische Befunde): EKG (Elektrokardiogramm), spezifische Enzymbefunde, Ultraschallbefunde etc.) nachgewiesen worden sind.

In der Psychiatrie sind alle psychiatrischen Diagnosen phänomenologische Diagnosen, weil eine psychische Störung grundsätzlich nur auf Grundlage der psychopathologischen Phänomene bzw. nur auf Grundlage des psychischen Symptomenkomplexes mit der Hilfe eines psychiatrischen Konzeptes erkannt und diagnostisch bestimmt wird und eine solche diagnostische Einheit nicht auf einen körperlichen Befund zurückgeführt und auf dieser Grundlage allgemein gültig bestimmt werden kann. Diesen Sachverhalt hat der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers durch sein Studium der Philosophie von Immanuel Kant realisiert und in seinem Buch „Allgemeine Psychopathologie“ (ab der 4. Auflage 1946) aufgezeigt, wenn er darauf hinweist, dass in der Psychiatrie psychische Erscheinungen durch Typen vermittelt durch das Schema der Idee erkannt werden, wohingegen andere Einheiten, nämlich objektiv bestimmbare durch die Zugehörigkeit zu Gattungen feststellbar sind (vgl. mit Jaspers Zitat) – was auf viele diagnostische Einheiten in der Medizin zutreffend ist, die auf Grundlage von objektiven Befunden allgemein gültig bestimmt werden können, was bei psychiatrischen Diagnosen grundsätzlich nicht möglich ist.

Ferner erkennt man, dass auch die Diagnosen in der Alternativmedizin also die alternativmedizinischen Diagnosen und auch die Diagnosen in der Psychosomatik also die psychosomatischen Diagnosen phänomenologische Diagnosen sind, weil auch in diesen Bereichen der Heilkunde die Störungen der Gesundheit aufgrund der klinischen Erscheinungsbilder in der Diagnostik erfasst und beschrieben werden.

Erkenntnistheoretisch bzw. philosophisch betrachtet erkennt man, dass eine phänomenologische Diagnose durch eine projektierten Einheit erkannt wird (vgl. mit Kant Zitat 8). Man geht hier als Arzt davon aus, dass es eine solche zu Grunde liegende Einheit im Sinne einer wirklichen Natureinheit respektive im Sinne einer natürlichen Krankheitseinheit gibt, falls man in der Praxis den Sachverhalt durch das klinische Erscheinungsbild unter dem Begriff der (diagnostischen) Idee auffassen kann. Es kann in diesem Fall die diagnostische Einheit also durch das diagnostische Schema (der diagnostischen Idee) erkannt und subjektiv gültig bestimmt werden. In diesem Fall kann ich als Arzt also etwa den Symptomenkomplex durch diese phänomenologische Diagnose bzw. durch den Begriff dieser (diagnostischen) Idee subjektiv gültig erkennen und bestimmen (vgl. mit Kant Zitat 7). Es handelt sich bei der diagnostischen Einheit hier also um die systematische Einheit der Idee (vgl. mit Kant Zitat 7). Man erkennt damit, dass es sich in der Heilkunde bei einer phänomenologischen um eine nützliche Einheit und damit um eine zweckmäßige Einheit handelt, weil auf dieser Grundlage der Sachverhalt – nämlich auf Grundlage eines (definierten) Systems – in der Diagnostik systematisch erfasst und in der Wissenschaft systematisch studiert werden kann, wenn gleich die eigentliche Ursache der gesundheitlichen Störung nicht näher bekannt ist und auch nicht näher bestimmt werden kann. Man kann somit auch sagen, dass es sich bei einer solchen diagnostischen Einheit um ein nützliches Konzept handelt. Ebenso kann man sagen dass sich hier die Diagnostik auf eine transzendentale Einheit bzw. auf eine transzendentale Idee im Sinne von Immanuel Kant gründet.*

Eine solche, durch den Begriff der Idee definierte Einheit, hat in der Heilkunde eine praktisch tätige Fachperson auf Grundlage ihrer  klinischen Erfahrung und ihrer vernünftigen Überlegung erkannt und in Bezug auf ihre Grenzen auf der Ebene ihrer Vorstellungen definiert. So hat zum Beispiel der Psychiater Eugen Bleuler ausgehend vom Begriff der Dementia praecox die phänomenologische Diagnose Schizophrenie bzw. die Gruppe der Schizophrenien beschrieben und damit eine neue Krankheitseinheit in der Psychiatrie definiert hat (vgl. mit Bleuler Zitat).

Man erkennt damit, dass es sich bei einer phänomenologischen Einheit und somit auch bei einer phänomenologischen Diagnose um eine ganz andere Einheit handelt, als dies bei einer objektiv bestimmbaren Einheit/Entität der Fall ist, die auf Grundlage von körperlichen Befunden auf der „Ebene der Objekte“ bzw. auf der Ebene der physischen „Natur“ durch eine faktische Einheit entdeckt worden ist. (vgl. mit Kant Zitat 22)

Damit wird deutlich, dass es sich beim Wissen um eine phänomenologische Diagnose um beschränktes Wissen handelt das man auf Grundlage einer nicht objektivierbaren Idee bzw. auf der Grundlage eines Konzepts erkannt hat. Und dass in der Praxis die phänomenologische Diagnose erkannt wird, wenn die phänomenologische Einheit auf den Sachverhalt projiziert wird (vgl. mit Kant Zitat 8) und dieser unter dem Begriff der Idee aufgefasst werden kann, weil die klinische Erscheinung respektive die Merkmale der (diagnostischen) Idee dem (diagnostischen) Schema hinreichend genügen (vgl. mit Kant Zitat 7).

Nachfolgend werden weitere phänomenologische Diagnosen exemplarisch aufgelistet

weitere Phänomenologische Diagnosen aus der Medizin die durch den Symptomenkomplex erkannt werden:

Schwindel

Schwäche

Kraftlosigkeit

Tinnitus

Bulimie

funktionelle Herzbeschwerden, die nicht auf eine körperliche Ursache zurückgeführt werden können.

weitere Phänomenologische Diagnosen aus der Psychiatrie:

Depression (depressive Störung)

Schizophrenie

Organisches Psychosyndrom (OPS)

Demenz

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung)

Oligophrenie

geistige Behinderung

Autismus bzw. Autismus Spektrums-Störung

mit den Unterformen: frühkindlicher Autismus, Asperger Syndrom, atypischer Autismus, nicht näher bezeichnete tiefgreifende Entwicklungsstörung, wie sie in der Kinder-Jugendpsychiatrie beschrieben und näher definiert worden sind.

weitere phänomenologische Diagnosen:

Anorexie

funktionelle Magen-Darmstörungen

usf.

Grundsätzlich sind alle syndromalen Diagnosen im engeren Sinn phänomenologische Diagnosen.

Man erkennt, dass auch alle funktionellen Diagnosen phänomenologische Diagnosen sind.

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Weiteres* über phänomenologische Diagnosen in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im April 2019 im Verlag tredition

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(letzte Änderung 05.05.2022, abgelegt unter; Alternativmedizin, Definition, Diagnose, funktionelle Diagnose, medizinische Diagnose, psychiatrische Diagnose, syndromale Diagnose, Medizin, Psychiatrie, Psychosomatik)

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