psychiatrisches Gutachten

Ein psychiatrisches Gutachten ist ein Gutachten bei dem ein psychischer Sachverhalt im Hinblick auf das Vorhandensein einer psychische Störung fachlich zu untersucht und fachlich beurteilt wird.

Dabei kann ein Gericht oder eine Behörde der Auftraggeber des psychiatrischen Gutachtens sein, und es wird hier in der Regel ein gerichtlich zertifizierter Sachverständiger das psychiatrische Gutachten erstatten.

Oder es handelt sich um sonst einen Auftraggeber, etwa eine Versicherung oder eine Privatperson. In einem derartigen Fall spricht man von einem psychiatrischen Privatgutachten.

Somit ist das psychiatrische Gutachten eine fachliche Expertise über das Vorhandensein einer Störung der Psyche, die zum Auftreten der psychopathologischen Phänomene geführt hat.

Dabei werden die psychischen Auffälligkeiten vom theoretisch- und klinisch im Fach Psychiatrie ausgebildeten Facharzt/Fachärztin gemäß den Richtlinien der psychiatrischen Diagnostik durch die psychiatrische Untersuchung erfasst und dabei der psychopathologische Befund erhoben und nach den Richtlinien des aktuellen Gutachterwesens beurteilt und bewertet.

Demgemäß werden in der Forensischen Psychiatrie die psychischen Auffälligkeiten vom Sachverständigen durch das psychopathologische Denken – im Sinne von Karl Jaspers – in der psychiatrischen Diagnostik erfasst und als mögliche Folge einer relevanten psychischen Störung beurteilt und gemäß den gestellten Fragen beantwortet.

Somit erstattet der psychiatrische Gutachter, der eine Facharztausbildung in Fach Psychiatrie absolviert hat, und der infolge die fachliche Qualifikation als Sachverständiger für das Fach Psychiatrie erlangt hat, in seinem psychiatrischen Gutachten seine fachärztliche Expertise.

Diese Expertise beruht also auf seiner gutachterlichen Idee die er im Rahmen der Untersuchung und Befunderhebung erlangt hat um letztlich in seinem gutachterliches Urteil festzustellen was für eine psychische Störung vorliegt und in welchem Ausmaß daraus Konsequenzen resultieren, etwa im Hinblick auf die erfolgte Handlung / Tat Schuldfähigkeit gegeben ist. Oder ob eine gewisse Tätigkeit/ob Testierfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit zur fraglichen Zeit vorhanden war / eine gewisse Tätigkeit/Arbeit noch ausgeübt werden kann usf.

Früher haben in der Psychiatrie sachverständige Nervenfachärzte ein nervenfachärztliches Gutachten erstattet. Heutzutage wird zwischen Psychiater und Neurologe unterschieden.

Heutzutage erstellt ein Psychiater ein psychiatrisches Gutachten, hingegen ein Neurologe ein neurologisches Gutachten.*

Ungeachtet dessen muss ein Psychiater jedoch auch über neurologische Kenntnisse verfügen, weil psychische Störungen häufig in Folge und / oder im Zusammenhang mit einer neurologischen Störung auftreten – und umgekehrt muss ein Neurologe auch über psychiatrische Kenntnisse verfügen, weil bei vielen neurologischen Störungen psychische Störungen vorkommen bzw. die psychischen Symptome das Ausmaß einer relevanten psychischen Störung erlangt haben.

Überhaupt können psychische Störungen auch im Zusammenhang von sonstigen körperlichen Störungen auftreten, wie dies etwa bei gesundheitlichen Störungen der Fall ist die z. B.im Fach der Inneren Medizin und auch in anderen Fächern der Medizin fallweise auftreten.

Nicht selten ist eine körperliche Ursache, etwa eine neurologische Ursache, die Ursache einer psychischen Störung und umgekehrt kann auch eine psychische Störung sich auf eine neurologische Störung, oder auf eine sonstige gesundheitliche Störung auswirken.

Für das psychiatrische Gutachten ist auch die Vorgeschichte wesentlich:

Ein psychiatrisches Gutachten gründet sich auf die Krankengeschichte, die Anamnese und den psychischen Befund bzw. den psychiatrischen Befund – man kann auch sagen auf den psychopathologischen Befund –  und fallweise auch auf weitere Zusatzbefunde etwa die Aussenanamnese (Angaben von anderen Person die die betroffene Person gut kennen).Daraus ergibt sich das klinische Erscheinungsbild / klinische Bild und infolge die phänomenologisch bzw. die psychopathologisch begründete psychiatrische Diagnose.

Auf der Grundlage der psychiatrischen Diagnose und auf der Grundlage der sonst erhobenen Befunde wird das psychiatrische Gutachten erstattet bzw. aufgebaut.

Und es werden schließlich im psychiatrischen Gutachten – so wie in jedem Gutachten – die gestellten Fragen beantwortet.

Die gestellten Fragen sollten im Gutachten durch den Gutachter ausreichend beantwortet und durch die Befunde und Argumente ausreichend begründet werden, weil das psychiatrische Gutachten in vielen Fällen als psychiatrischer Sachverständigenbeweis dient und dessen Richtigkeit, etwa vom Gericht anerkannt wird falls die Argumentation schlüssig bzw. plausibel ist.

Erkenntnistheoretisch bzw. philosophisch betrachtet gründet sich ein psychiatrisches Gutachten auf eine psychiatrische Idee.

Dabei ist die psychiatrische Idee die gutachterliche Idee, die der Sachverständige im Rahmen der Erhebung seines gutachterlichen Befundes entwickelt hat. Aus dieser Idee leitet der Sachverständige seine Schlussfolgerungen ab, und er beantwortet auf dieser Grundlage, die an ihn gestellten Fragen. Man kann daher auch sagen, dass der Sachverständige durch die Erhebung des gutachterlichen Befundes zu einer diagnostischen Einheit im Sinn eines Ganzen gelangt, aus dem er das Weitere und damit die einzelnen Antworten auf die gestellten Fragen ableitet. Wie man sich überzeugt ist in der Forensischen Psychiatrie diese diagnostische Einheit eine systematische Einheit. Es ist dies also die Einheit einer Idee, die im Bewusstsein der Fachperson in der Form des Begriffs der Idee als systematische Einheit erscheint, wenn die Fachperson, nämlich der Sachverständige die Merkmale der Idee durch das Schema der Idee geistig auffasst (vgl. mit Kant Zitat 7 und mit Jaspers Zitat).

Wie man sich überzeugt gründet sich dieses Ganze – im Sinne von Karl Jaspers (vgl. mit Jaspers Zitat) – bei einem psychiatrischen Gutachten auf ein Wahrnehmungsurteil im Sinne von Immanuel Kant (vgl. mit Kant Zitat 6).*

Es handelt sich hier beim gutachterlichen Urteil also um subjektives Wissen das gleichzeitig beschränktes Wissen ist.

Man kann auch sagen: es handelt sich in der Psychiatrie im konkreten Fall und damit auch in der Forensischen Psychiatrie um relatives Wissen, das in Bezug auf eine gewonnene fachliche Idee relativ gültig ist, und das daher im konkreten Fall mehr oder weniger gültig ist.

Man kann auch sagen, dass es sich dabei um ein fachliches Urteil handelt das die Fachperson im Rahmen der Untersuchung und der Befunderhebung durch ein (fachliches) Wahrnehmungsurteil erlangt hat.

Deswegen wird ein kritischer Sachverständiger in seinen gutachterlichen Aussagen und Feststellungen, die relative Gültigkeit seiner Feststellungen beachten.

Er wird daher seine Feststellungen angemessen auslegen und im konkreten Fall angemessen relativieren.

Es wird also ein, im Sinn der Aufklärung aufgeklärter psychiatrischer Gutachter die Grenzen seines subjektiven Wissens bei der Erstattung seines Gutachtens beachten, um nicht in ewige Widersprüche zu geraten (vgl. mit Kant Zitat 2a).

Beziehungsweise um nicht in Antinomien zu geraten – wie dies Karl Jaspers in seiner „Allgemeinen Psychopathologie“ formuliert (vgl. mit Jaspers Zitat)

So können also Widersprüche vermieden werden und kann der Sachverständige trotzdem mit Bestimmtheit seinen Standpunkt – seine fachliche Sichtweise – vertreten, wo dies angemessen ist. Hingegen wird er – insbesondere in einem diagnostischen Grenzfall** auf die Grenzen des fachlichen Wissens hinweisen bzw. diesen Sachverhalt angemessen diskutieren.

und in Probleme zu geraten. Das heißt: ein im Sinn der Aufklärung aufgeklärter Gutachter wird nicht anmassend auftreten (vgl. mit Kant Zitat 10), sondern er wird die Grenzen seines subjektiven Wissens beachten und berücksichtigen. Das heißt: er wird die Feststellungen einerseits mit der angemessenen Bestimmtheit vertreten, wenn der Sachverhalt typisch ist und daher die psychiatrische Diagnose in ausgeprägter Form einem Typus entspricht, nicht aber Dinge behaupten, die letztlich der Kritik nicht standhalten. Dies bedeutet: ein kritischer Gutachter wird die erlangte Idee relativistisch verwenden. Unter anderem wird ein, in diesem Sinn kritischer Sachverständiger beachten, dass ein psychischer Testbefund, wie er aus einer psychischen Testung (psychologischer Test) resultiert, bei der Erstattung eines psychiatrischen Gutachtens nur ein mehr oder wenig brauchbarer Zusatzbefund ist. Dies gilt im Übrigen auch für Befunde wie sie in der kognitiven Neurologie erhoben werden (Weiteres dazu hier)

Diese relativistische Verwendung der gutachterlichen Idee ist in der psychiatrischen Forensik, insbesondere bei einem Grenzfall in der psychiatrischen Diagnostik wesentlich (Weiteres dazu hier).

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Hinweis:

Weiteres* über psychiatrische Gutachten und generell zur Diagnostik in der Psychiatrie und in der Forensischen Psychiatrie (sowie über neurologische Gutachten in der Neurologie) in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im Verlag tredition, April 2019

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Weiteres** zum Thema: diagnostischer Grenzfall in der Psychiatrie/Forensischen Psychiatrie in meinem Vortrag (2014, OGH Wien)

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(letzte Änderung 09.04.2023, abgelegt unter: Definition, Forensik, Forensische Psychiatrie, Gutachten, Medizin, Neurologie, Psychiatrie, Rechtsprechung)

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