Kausalität in Psychiatrie und Medizin

In der Psychiatrie kann man eigentlich nicht mit (objektiver) Bestimmtheit eine Kausalität angeben.

In der Psychiatrie kann man im konkreten Fall nicht mit Bestimmtheit angeben, was z. B. die Ursache für das Auftreten eines psychischen Phänomens ist. Eine objektive Bestimmung der eigentlichen Ursache dieses Phänomens in dem Sinn, dass die Ursache direkt auf ein Objekt zurückgeführt werden kann, gibt es in der Psychiatrie und in der Psychologie eigentlich nicht.

Man kann den psychischen Sachverhalt allenfalls durch gewisse Ursachen verstehen und dadurch erklären, aber allgemein gültig bestimmen kann man diese nicht.

Dies bedeutet, dass man z. B. nicht entscheiden kann, ob etwa eine psychische Störung vom Typ einer Depression biologisch (etwa durch den Mangel an Botenstoffen/Transmittern) oder psychologisch bedingt ist.

Im Zweifelsfall kann man in der Psychiatrie nicht allgemein gültig entscheiden was kausal ist. Man kann eine Ursache nennen, und ihre mögliche Wirkung erläutern/erklären und dies als rationalen Grund für das Auftreten der psychischen Erscheinung angeben. Im Zweifelsfall kann man jedoch nicht allgemein gültig respektive nicht objektiv gültig entscheiden, ob die eine Ursache oder die andere Ursache das psychische Phänomen bewirkt.

Mit anderen Worten, wir können diese, oder jene Ursache als den kausalen Grund für das Auftreten des psychischen Phänomens nennen bzw. das Auftreten des psychischen Sachverhalts durch diesen oder jenen Grund erklären und eine diesbezügliche fachliche Meinung vertreten bzw. die diesbezüglich fachliche Sichtweise als Sachverständiger z. B. in einem Gerichtsverfahren vertreten, und diese Argumentation in Form der einzelnen Argumente, etwa bei der Erörterung des psychiatrischen Gutachtens im Rechtsstreit vertreten.

Im Zweifelsfall kann man jedoch nicht wissen, ob diese oder jene Ursache das psychische Phänomen bewirkt hat.

Genau genommen kann man auch nicht wissen, ob die eine oder die andere Gegebenheit dieses oder jenes psychische Phänomen verursacht hat – ob z.B. die in der Bildgebung (im CCT oder MRT) sichtbare Atrophie des Gehirns die psychische Störung vom Schweregrad der Demenz bewirkt, oder, ob etwa eine chronische Vergiftung das vorliegende klinische Erscheinungsbild bewirkt.

Die Relation zwischen dem psychischen Phänomen und seiner Ursache ist nicht bestimmbar (Weiteres dazu auf Poster 6: Diagnosis in Psychiatry – the Role of Biological Markers – an investigation in the light of Immanuel Kant`s philosophy).

Auch in der Medizin kann man im Zweifelsfall nicht allgemein gültig angeben was die eigentliche Ursache ist. Auch hierbei findet man oftmals verschiedene mögliche Ursachen bzw. verschiedene Faktoren, die insgesamt die komplexe Ursache bilden bzw. die durch ihr Zusammentreffen die aufgetretene Wirkung erklären.

Die Kausalität ist im Zweifelsfall also nicht eindeutig bzw. nicht allgemein anerkannt festgestellt werden, weil der Sachverhalt nur auf der Ebene der Vorstellungen bzw. nur auf der „Ebene der Ideen“ durch das Gewichten der Ideen entscheidbar ist.

Dies ist so, weil die Kausalität auf einer bloßen Idee beruht (vgl. mit Kant Zitat 24a).

Man kann oftmals unterschiedliche Kausalitätsketten angeben.

Lediglich in den Fällen in denen man eine eideutige Ursache aufzeigen kann, ist die Kausalität eindeutig bestimmbar (Ein Beispiel: wenn etwa die Bauchbeschwerden nach erfolgreicher Behandlung des Magenulkus verschwinden – kann man mit Gewissheit sagen, dass das Ulkus kausal war).

Hingegen kann man der Medizin wenn z. B. wenn eine Person über Rückenschmerzen klagt und degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule sichtbar sind, nicht mit Sicherheit sagen was für diese Beschwerden kausal ist, ob die degenerativen Veränderungen dafür kausal sind, oder Muskelverspannungen, oder eine Kombination dieser Faktoren oder sonst eine Ursache. Man kann sich als Arzt dazu eine subjektiv gültige fachliche Meinung bilden, aber allgemein gültig kann man die Kausalität in einem solchen Fall nicht bestimmen.

Überhaupt muss man in der Regel davon ausgehen, dass es sich um eine komplexe Ursache handelt.

Beim Begriff „Kausalität“ handelt es sich nämlich um den Begriff einer Idee, und zwar um den Begriff einer bloßen Idee (vgl. mit Kant Zitat 24a), die aus der Erfahrung abgeleitet worden ist, und nicht um ein Erkenntnisobjekt das physisch allgemein gültig bestimmt werden kann (vgl. mit Kant Zitat 7).

Man kann bei der Frage nach der Kausalität nur auf der Ebene der Vorstellungen die unterschiedlichen Vorstellungen gegeneinander geistig abwägen welche Sache/Argumentation bzw. welcher Zusammenhang in welchem Umfang kausal ist (vgl. mit Kant Zitat 2).

In diesem Sinn wird ein Sachverständiger im Rahmen der Erstattung seines Gutachtens gefragt, ob etwa der gegenständliche Unfall für das Beschwerdebild kausal ist, oder andere nicht unfall-kausale Gründe.

Man kann in der Heilkunde und hier insbesondere in der Medizin und in der Psychiatrie – damit auch in diesbezüglichen Rechtsverfahren oftmals angeben, dass dieses oder jenes die Ursache einer Beschwerde bzw. eines klinischen Erscheinungsbildes ist, ein allgemein gültiger Beweis ist dafür allerdings nicht möglich, sondern kann hier der Sachverhalt nur durch das Abwägen und Gewichten der unterschiedlichen Kausalitätsketten – vom Sachverständigen festgestellt werden und kann diese fachliche Sichtweise vom Gericht, falls sie plausibel erscheint, sodann übernommen werden. Der Sachverhalt kann hier also nur durch die Plausibilität entschieden werden – falls unterschiedliche Gutachten vorliegend sind. Letztlich wird also die plausiblere Argumentation die unbefangene Zuhörerschaft überzeugen.*

Erkenntnistheoretisch betrachtet gründet sich hier die fachliche Entscheidung bzw. die fachliche Sichtweise auf ein Wahrnehmungsurteil im Sinne von Immanuel Kant.

In der Medizin kann man in gewissen Fällen z.B. angeben, dass die Gene die Ursache von irgend einer klinischen Erscheinung sind. In anderen Fällen ist dies nicht so eindeutig möglich. Man kann oftmals nicht unzweifelhaft angeben was zum Sachverhalt geführt hat. Also können oftmals unterschiedliche Erklärungen abgegeben werden bzw. kann man das Auftreten des  Sachverhalts in derartigen Fällen unterschiedlich begründet verstehen und daher unterschiedlich begründet erklären.

Wenn jemand z.B. Rückenschmerzen hat, und man findet im Rahmen der körperlichen Abklärung keine herausragende Ursache, die die Schmerzen erklärt, dann kann man sagen, dass die Schmerzen infolge von „Überlastung“ aufgetreten sind, oder man kann sagen – je nach subjektiver Einschätzung –  dass sogenannte ”Abnützungserscheinungen” – wie sie im Röntgenbild, altersgemäß sichtbar sind – das Auftreten der Schmerzen erklären, oder man kann den Wetterumschwung, oder vieles andere als Faktor und damit als Teil der (komplexen) Ursache angeben, warum es zum Auftreten der Schmerzen gekommen ist.

Bei all diesen Erklärungen handelt es sich um Vorstellungen bzw. um Ideen die “physisch” nicht weiter überprüfbar sind. Wir können den Grund der Erscheinungen (Phänomene/Symptome) nicht allgemein gültig bestimmen und beweisen.

Man kann nur indirekt, wenn man andere Ursachen ausgeschlossen hat, die zu Grunde liegend gedachte (vorgestellte) Ursache, als die Ursache des Phänomens/Symptoms ansehen bzw. sie als den Grund erklären (vgl. mit Kant Zitat 2) und auf Basis dieser Erklärung den Zusammenhang der Erscheinungen sinnvoll verstehen.

Es wird damit deutlich, dass eine eindeutige Kausalität nur bei einfachen Sachverhalten allgemein anerkannt gegeben ist bzw. diese damit de facto allgemein gültig festgestellt werden kann, weil alle befassten Fachleute zur gleichen Schlussfolgerung gelangen bzw. zum gleichen Wahrnehmungsurteil gelangen.

Bei anderen Sachverhalten, kann man – je nach Grad der Komplexizität unterschiedliche Faktoren als Bestandteile der komplexen Ursache angeben.

Damit ist in einem solchen Fall die Kausalität nicht mehr allgemein anerkannt bzw. nicht mehr „allgemein gültig“ bestimmbar, sondern man kann nur auf der Ebene der Vorstellungen, die unterschiedlichen Vorstellungen (Ideen) miteinander vergleichen, diese gegeneinander “gewichten” bzw. in den Worten von Immanuel Kant diese ponderieren und sodann (subjektiv gültig) entscheiden, welchen kausalen Stellenwert man irgend einer Ursache/einem Faktor beimisst (vgl. mit Kant Zitat 2)

Genau genommen kann man in einem solchen Fall „nicht allgemein gültig“ entscheiden, was die eigentliche Ursache und damit kausal für die gesundheitlichen Störung ist – eben, weil man nur auf der „Ebene der Ideen“ bzw. auf der Ebene der Vorstellungen durch den Begriff der bloßen Idee erkennen und entscheiden kann was kausal ist (vgl. mit Kant Zitat 24a).

Mit anderen Worten: man kann nicht durch ein Objekt die Kausalität objektiv gültig bestimmen – man kann nur – wenn der Sachverhalt unzweifelhaft ist – die Kausalität durch ein Objekt allgemein anerkannt erklären. Aber man kann nicht hergehen, und auf der Grundlage eines Objekts/Faktums/Tatsache einen allgemein gültigen Beweis liefern. Die physische Demonstration eines Objekts/Faktums/Tatsache ist hier kein allgemein gültiger Beweis, denn das (subjektive) Urteil gründet sich hier auf die logische Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subjekt (vgl. mit Kant Zitat 6).

Man kann auch sagen: Denn Wahrheit oder Schein sind (im gegebenen Fall) nicht im Gegenstande, sofern er angeschaut wird, sondern im Urteile über denselben sofern er gedacht wird (vgl. mit Kant Zitat 9a).

Oder man kann auch sagen, das Wissen der Person das diese Erkenntnis erlangt gründet sich im gegebenen Fall auf den Begriff der Idee der in ihrem Bewusstsein als die systematische Einheit der Idee erscheint, falls sie die Merkmale der Idee vermittelt durch das Schema der Idee geistig auffasst (vgl. mit Kant Zitat 7).

Und daher gibt es keinen allgemein gültigen bzw. keinen objektiv gültigen Beweis für das was die eigentliche Ursache ist.

Lediglich wenn nach Entfernung des Objekts/der Tatsache/des Faktums das klinische Erscheinungsbild ändert bzw. das Erscheinungsbild von vorher nicht mehr vorhanden ist, kann man im Rückschluss sagen, dass das vermeintliche Objekt/Faktum kausal war.

Die Idee der Kausalität ist nicht objektiv beweisbar – weil es sich dabei um eine bloße Idee handelt (vgl. mit Kant Zitat 24a) – und zwar um eine Idee, die aus der Erfahrung abgeleitet worden ist. Es handelt sich beim Wissen um die Kausalität also um aus der Erfahrung abgeleitetes Wissen.

Oder man kann auch sagen, dass es sich beim Wissen um die Kausalität um subjektives Wissen handelt, das aus der Erfahrung abgeleitet worden ist, und daher nicht um objektives Wissen.

Wie man ferner erkennt, handelt es sich damit auch um relatives Wissen. Und schließlich handelt es sich dabei auch um beschränktes Wissen.

Wenn ein Sachverhalt typisch ist, das heißt wenn z.B. das klinische Bild in der Medizin, oder in der Psychiatrie eindeutig einem gewissen Typus zuordenbar ist, dann werden in der Regel die Fachleute z.B. die Sachverständigen die Befunde in einem Gutachten gleich / ähnlich interpretieren bzw. gleich / ähnlich erklären. Man wird dann das Phänomen als die Folge eines objektiv feststellbaren Befundes gleich interpretieren bzw. gleich erklären. Genau genommen handelt es sich dabei jedoch nicht um eine allgemein gültige Feststellung – also nicht um ein fachliches Urteil dessen Kriterium im Objekt gelegen ist, und das daher durch das Objekt bestimmt ist,  bzw. das daher objektiv gültig ist – sondern um eine Erklärung, die von verschiedenen Subjekten (subjektiv) in der Bewertung der Ideen (geistig) gleich „gesehen“, und daher gleich anerkannt erklärt wird. Es handelt sich hierbei also um eine Sichtweise, die infolge der dargelegten Gründe / Argumente „so“ geartet (geistig) gesehen wird. Es entscheidet hier also die Plausibilität.

Mit anderen Worten: es handelt sich dabei um gleiche subjektive Einschätzung bzw. um subjektive Evidenz, die von verschiedenen Subjekten in diesem Fall in gleicher Weise erlangt wird.

Es ist dies also keine Erkenntnis, die deswegen gleich gesehen wird, weil die Erkenntnis auf Grundlage von objektiver Evidenz erlangt wird.

Philosophisch gesprochen kann man sagen: es handelt sich in einem solchen Fall, wenn der Sachverhalt typisch ist und mehrere Sachverständige zur selben fachlichen Meinung gelangen, um ein nur subjektiv gültiges Urteil, also um ein Wahrnehmungsurteil und nicht um ein Erfahrungsurteil im Sinne von Immanuel Kant.

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Hinweis:

Weiteres* zum Thema: Kausalität (und Ursache) in Psychiatrie und Medizin erläutert mit Beispielen in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im Verlag tredition, April 2019.

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(letzte Änderung 29.07.2022, abgelegt unter: Forensik, Forensische Psychiatrie, Kausalität, Medizin, Neurologie, Psyche, Psychiatrie, Psychologie, Rechtsprechung)

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