Kant Zitat 3d – Abstraktion

“ Wenn die Vernunft ein Vermögen ist, das Besondere aus dem Allgemeinen abzuleiten, so ist entweder das Allgemeine schon an sich gewiß und gegeben, und alsdenn erfordert es nur Urteilskraft zur Subsumption, und das Besondere wird dadurch notwendig bestimmt. Dieses will ich den apodiktischen Gebrauch der Vernunft nennen. Oder das Allgemeine wird nur problematisch angenommen, und ist eine bloße Idee, das Besondere ist gewiß, aber die Allgemeinheit der Regel zu dieser Folge ist noch ein Problem; so werden mehrere besondere Fälle, die insgesamt gewiß sind, an der Regel versucht, ob sie daraus fließen, und in diesem Falle , wenn es den Anschein hat, daß alle anzugebenede besondere Fälle daraus abfolgen, wird auf die Allgemeinheit der Regel, aus dieser aber nachher auf alle Fälle, die auch an sich nicht gegeben sind, geschlossen. Diesen will ich den hypothetischen Gebrauch der Vernunft nennen.“

Zitat aus Band IV, Gesammelte Werke, Immanuel Kant: “Kritik der reinen Vernunft”, Transzendentale Dialektik, Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik, Seite 566-567, Suhrkamp Taschenbuchausgabe, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, 1. Auflage 1974, ISBN  3-538-27653-7

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Wenn Sie, im von Google digitalisierten Werk in sechs Bänden von Immanuel Kant, von Wilhelm Weischedel nachsehen wollen, um dort das Zitat im Zusammenhang mit dem Text zu sehen, so finden Sie dieses dort auf der Seite 566-567 über diesen Link.

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Anmerkung zum Zitat: Der Begriff Abstraktion findet sich zwar nicht im oben genannten Kant Zitat 3d. Ungeachtet dessen wird in diesem Zitat die Grundlage der Abstraktion von Immanuel Kant aufgezeigt, die sich einerseits auf Erkenntnisobjekte bezieht, die auf der „Ebene der Objekte“ erkannt und bestimmt werden und andererseits auf Erkenntnisobjekte, die nur auf der „Ebene der Ideen“ durch die Begriffe der Ideen erkannt werden können, weil es sich dabei um systematische Einheiten handelt (vgl. mit Kant Zitat 7). Man kann auch sagen, dass in einem solchen Fall das Wissen auf einer bloßen Ideen (vgl. mit Kant Zitat 8) beruht.

Dies ist unter anderem für die Psychologie und die Psychiatrie von Relevanz, weil es sich bei den psychologischen Ideen (vgl. mit Kant Zitat 4) – und ebenso bei den psychiatrischen Ideen – um bloße Ideen handelt.

Daher sind die diagnostischen Einheiten in der psychologischen Wissenschaft und auch die in der psychiatrischen Wissenschaft nur problematisch zum Grund gelegte Einheiten (vgl. mit Kant Zitat 8). Konkret bedeutet dies, dass etwa die psychiatrischen Kategorien der psychiatrischen Klassifikation – die die  Merkmale der Schemata der psychiatrisch-diagnostischen Ideen aufzeigen – projektierte Einheiten sind.

Es sind in der Psychiatrie die psychiatrischen Diagnosen also per Definition abgegrenzte diagnostische Einheiten, die auf Grundlage der klinischen Erfahrung und vernünftigen Überlegung, von in der Psychiatrie tätigen Fachleuten erkannt worden sind. Und es sind somit diese ideologisch abgegrenzten Einheiten projektierte Einheiten, die gleichzeitig auch zweckmäßige Einheiten sind, weil man mit deren Hilfe die Vielfalt der psychischen Störungen in der psychiatrischen Diagnostik gemäß der angewandten psychiatrischen Klassifikation systematisch bestimmen und in der psychiatrischen Wissenschaft systematisch studieren kann.

In diesem Sinn sind also die bereits früher entstandenen psychiatrischen Klassifikationen und die durch die Überarbeitung und durch die Revisionen aus ihnen hervorgegangenen Klassifikationen – (z. B. die psychiatrische ICD-10 Klassifikation) – nützliche geistige Raster, mit deren Hilfe die unterschiedlichen psychischen Störungen nach einem System geordnet – somit systematisch – bestimmt werden können – und infolge in der psychiatrischen Wissenschaft systematisch studiert werden können, ohne dass die Ursache der jeweiligen psychischen Störung bekannt ist.

Es sind also etwa die psychiatrischen EinheitenSchizophrenie, Depression, Demenz, Organisches Psychosyndrom (OPS) und auch die Oberbegriffe: PsychoseNeurose und auch sonst alle psychologischen und psychiatrischen Begriffe nur problematisch zum Grund gelegte Einheiten, die hier sämtliche systematische Einheiten (vgl. mit Kant Zitat 8) im zuvor genannten Sinn sind, die zwar empirisch in Bezug auf ihre Grenzen erkannt worden sind , die jedoch nicht auf der „Ebene der Objekte“ überprüft werden können, eben, weil es sich dabei um aus der Erfahrung abgeleitete Einheiten bzw. um die Begriffe von aus der Erfahrung abgeleiteten Ideen handelt, die nicht am Probierstein der Erfahrung (vgl. mit Kant Zitat 10) überprüft werden können. (Weiteres dazu auf Poster 4: EMPIRICISM IN PSYCHIATRY VERSUS EMPIRICISM IN MEDICINE – IN THE LIGHT OF THE PHILOSOPHIES OF JOHN LOCKE, DAVID HUME AND IMMANUEL KANT)

Mit anderen Worten: es handelt sich dabei um transzendentale Einheiten bzw. um die Einheiten von transzendentalen Ideen (vgl. mit Kant Zitat 8a ), die Karl Jaspers in seinem Buch: „Allgemeine Psychopathologie“ treffend als wahre Orientierungspunkte bezeichnet, durch die wir vorläufige Typen finden (vgl. mit Jaspers Zitat 6). Oder Jaspers an anderer Stelle: Wenn ich das Ganze als Idee auch nicht geradezu erkennen kann, so nähere ich mich ihm – mit Kants Worten – durch dasSchema“ der Idee. Schemata sind entworfene Typen, falsch, wenn ich sie als Realitäten behandle oder als Theorien von einem Zugrundeliegenden, wahr als methodisches Hilfsmittel, das grenzenlos korrigierbar und verwandelbar ist (vgl. mit Jaspers Zitat).

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(letzte Änderung am 15.03.2020, abgelegt unter: Diagnostik, Philosophie, Psychiatrie, Wissenschaft, Zitate)

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Weiteres zu dieser Thematik in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im April 2019 im Verlag tredition

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