In diesem Beitrag wird die Entstehung und die Verwendung des Begriffs „Schizophrenie“ (schizophrene Störung) bzw. der Diagnose „Schizophrenie“ unter Bezugnahme auf die Erkenntnisse des Philosophen Immanuel Kant beleuchtet und diskutiert.
Der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler hat den Begriff „Schizophrenie“ als Bezeichnung für gewisse psychische Störungen im Jahr 1908 erstmals in einer Fachärztesitzung öffentlich vorgestellt.
Eugen Bleuler (* 1857-1939) war der leitende Arzt der großen psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich in der viele psychisch Kranke hospitalisiert waren. In seiner Funktion als leitender Arzt sah Eugen Bleuler viele psychisch Kranke. Indem er die psychischen Auffälligkeiten der einzelnen Patienten miteinander verglich gelangte er zur Vorstellung – also zur Idee – dass es eine gewisse psychiatrische Einheit gibt, die sich in der Form dieses psychischen Symptomenkomplexes manifestiert . Er nannte diese Einheit „Schizophrenie“ (= Spaltungsirresein) (vgl. mit Bleuler Zitat). Von dieser psychischen Krankheit beschrieb er mehrere Unterformen, die er als die Gruppe der Schizophrenien bezeichnete.
Damit hatte Eugen Bleuler auf der Grundlage seiner klinischen Erfahrung und seiner vernünftigen Überlegung eine hypothetische Einheit geschaffen.
Es hatte also Eugen Bleuler durch den hypothetischen Vernunftgebrauch (vgl. mit Kant Zitat 5) – eine projektierte Einheit (vgl. mit Kant Zitat 8) – in Folge seiner denkenden Anschauung erkannt bzw. geschaffen (vgl. mit Jaspers Zitat). Eugen Bleuler ging also davon aus, dass es eine solche abgegrenzte Einheit im Sinne einer faktischen Einheit bzw. im Sinne einer biologischen Einheit – man kann auch sagen im Sinne einer Natureinheit als abgegrenzte Krankheitseinheit respektive als Entität – tatsächlich gibt, die den charakteristischen psychischen Symptomenkomplex hervorruft.
Kritisch betrachtet erkennt man jedoch, dass die diagnostische Einheit Schizophrenie als abgegrenzte Einheit nur auf der Ebene der Vorstellungen – also nur auf der Ebene der Ideen als Einheit erscheint.
Die Einheit erscheint nämlich als der Begriff der Idee als systematische Einheit im Bewusstsein der erkennenden Person, wenn diese die charakteristischen Merkmale der Idee durch das Schema der Idee geistig auffasst (vgl. mit Kant Zitat 7).
Man kann auch sagen, dass Eugen Bleuler davon ausging, dass es eine zugrunde liegende einheitliche Ursache gibt, die diese Form einer psychischen Störung hervorruft (vgl. mit Kant Zitat 8).
Nachdem er seine Annahme durch die weitere klinische Beobachtung und somit durch seine klinische Erfahrung bestätigt sah, war Eugen Bleuler subjektiv davon überzeugt, dass es eine solche abgegrenzte Krankheitseinheit tatsächlich gibt (vgl. mit dem Bleuler Zitat).
Wie bekannt ist, erschien diese von Eugen Bleuler definierte Einheit, die auf der Grundlage eines Konzepts entstanden ist, und die also kritisch betrachtet ein psychiatrisches Konzept ist auch für die Fachkollegenschaft in Bezug auf seine Definition des Symptomenkomplexes treffend, und es fand daher diese psychiatrische Einheit im Jahr 1911 Eingang in die psychiatrische Fachwelt und nach ihrer Anerkennung in weiterer Folge die weltweite Verbreitung in der Psychiatrie.
Mit dieser neu definierten Einheit – die Eugen Bleuler aus der bereits früher vom französischen Psychiater Benedict Augustin Morel (siehe dazu das WikiZitat) geschaffenen Einheit Dementia praecox abgeleitet hat – welche von Emil Kraepelin bereits in die psychiatrische Klassifikation eingeführt worden war – ist damit eine neue, weiter entwickelte systematische Einheit in die Psychiatrie eingeführt worden.
Eugen Bleuler hatte damit also eine noch nützlichere und noch besser definierte und damit noch passendere diagnostische Einheit als die Einheit Dementia praecox geschaffen um damit gewisse psychische Symptomenkomplexe systematisch erfassen zu können. Wie man sich überzeugt ist in diesem Sinne die Einheit Schizophrenie eine zweckmäßige Einheit im Sinn von Immanuel Kant.
Ungeachtet dessen man bis zum heutigen Tag auf der Ebene der neuronalen Funktion – also auf der Ebene der Körperlichkeit – keine abgegrenzte „physische Einheit“ auf der Ebene des Nervensystems in den Neurowissenschaften oder in der Biologischen Psychiatrie finden und bestimmen konnte – die dieser mental definierten Einheit entspricht, hat sich diese systematische Einheit in der Praxis und in der Wissenschaft sehr bewährt und als nützlich erweisen, weil man damit die gleichartigen psychische Symptomenkomplexe in der Psychiatrischen Diagnostik systematisch erfassen und in weiterer Folge in der psychiatrischen Wissenschaft systematisch studieren kann um damit die bestmögliche Behandlung /Therapie für eine derartige psychische Störung zu finden.
Man konnte damit also auf der Grundlage der gleichartigen psychischen Anomalie (vgl. mit Griesinger Zitat) diese Einheiten systematisch diagnostizieren und auch im Hinblick auf ihre Behandlung systematisch studieren.
Mit anderen Worten: Eugen Bleuler hatte damit eine neue psychiatrische Idee geschaffen (vgl. mit den Kant Zitat 4), die sich als sehr nützlich erwiesen hat, weil man auf deren Grundlage dieser psychiatrischen Einheit also diese Formen einer psychischen Störung systematisch studieren kann.
Somit kann man auch sagen, dass Eugen Bleuler mit dieser systematischen Einheit ein Schema im Kant`schen Sinn kreiert hatte, das es ermöglichte gleichartige psychische Symptomenkomplexe unter dieser systematischen Einheit aufzufassen. (vgl. mit Kant Zitat 7)
(Anmerkung: philosophisch betrachtet handelt es sich bei diesem Schema um ein transzendentales Produkt der Einbildungskraft (vgl. mit dem letzten Absatz Kant Zitat 13) in so fern das Zutreffen des Schemas nicht empirisch „physisch“ überprüft werden kann – mit anderen Worten: es gibt dafür keinen Probierstein der Erfahrung auf der Ebene der Objekte (vgl. mit Kant Zitat 10) – weil diese Einheit die systematische Einheit einer bloße Idee ist. (vgl. mit Kant Zitat 8 und mit Kant Zitat 4))
Wie sich später herausstellen sollte, eröffnete die „Entdeckung“ dieser systematischen Einheit neue Möglichkeiten für die Behandlung der psychisch Kranken, bei denen eine psychische Störung vom Typ einer „Schizophrenie“ aufgetreten war.
Nach dem es nämlich nun möglich geworden war psychisch Kranke mit gleichartigem Krankheitsbild in einer Gruppe nach phänomenologischen Gesichtspunkten zu erfassen, war es auch möglich geworden herauszufinden welche Behandlungsart bzw. welche Behandlungsmaßnahmen bei diesen klinischen Erscheinungsbildern sich bewähren, bzw. welche sich vergleichsweise besser bewähren.
Es sind damit also empirische Studien auf der Grundlage dieser phänomenologischen Basis möglich geworden.
Auf dieser phänomenologischen Basis wurden die Neuroleptika entdeckt und erprobt, und man hat auf der Grundlage dieser systematischen Einheiten auch andere Behandlungsmaßnahmen entdeckt und entwickelt. So hat man z.B. die Methode der Psycho-Edukation auf der Grundlage dieser systematischen Einheiten entwickelt, und es sind auf dieser Grundlage auch andere Therapieformen entwickelt worden, die sich zwischenzeitlich in der klinischen Praxis bewährt haben.
Es trifft also zu, wenn Immanuel Kant sagt, dass aus einer psychologischen Idee bzw. im gegenständlichen Fall aus einer psychiatrischen Idee nur Vorteil entspringen kann, wenn man sich nur hütet sie für etwas mehr als bloße Idee gelten zu lassen. (vgl. mit Kant Zitat 4)
In der psychiatrischen Praxis, in der psychiatrischen Lehre und auch in der psychiatrischen Wissenschaft ist es bis dato allerdings nicht üblich darauf zu achten, dass es sich bei diesen Einheiten um systematische Einheiten handelt, die die Einheiten von bloßen Ideen sind.
Dies hat zur Folge, dass in der Praxis und auch in der psychiatrischen Wissenschaft diese Einheiten in ihrer Verwendung nicht als psychiatrische Konzepte – also nicht als hypothetische Einheiten – angesehen und gehandhabt werden, sondern dass sie vielfach so angesehen und gehandhabt werden als ob es sich dabei um tatsächlich „physisch“ existente Einheiten also um faktische Einheiten handelt. Mit anderen Worten: als Folge dieses falschen Verstehens der psychiatrischen Ideen werden diese Einheiten nicht regulativ – sondern konstitutiv verwendet – was tatsächlich falsch ist. (vgl. mit Kant Zitat 3a)
Als Folge des konstitutiven Gebrauchs des Konzepts „Schizophrenie“ (und auch der anderen psychiatrischen und psychologischen Ideen) ergeben sich verschiedene Probleme und Widersprüche wie sie an anderer Stelle diskutiert werden. (-> Weiteres dazu hier)
Mit anderen Worten: viele Probleme wie sie in der psychiatrischen Praxis und vor allem auch in der psychiatrischen Wissenschaft auftreten resultieren aus diesem falschen Gebrauch der psychiatrischen Ideen. (Weiteres dazu in diesem Beitrag)
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Zusammenfassend kann man also sagen dass:
* Die psychiatrische Diagnose bzw. der Begriff der psychiatrischen Diagnose Schizophrenie eine systematische Einheit ist, unter dem man gewisse psychische Phänomene geistig auffassen kann.
* Die psychiatrische Diagnose Schizophrenie kann nur subjektiv gültig erkannt werden, weil die Einheit als solche nur auf der Ebene der Ideen als systematische Einheit erscheint.
* Trotzdem man eine solche Einheit nicht „physisch“ bestimmen kann ist sie aus den vorgenannten Gründen sehr wertvoll und nützlich.
* Man sollte eine solche diagnostische Einheit, die nur durch den Begriff der Idee im Bewusstsein als Einheit erscheint angemessen verwenden (vgl. mit Kant Zitat 3a), das heißt man sollte beachten, dass die Idee nicht konstitutiv sondern nur regulativ ist. (vgl. auch mit Kant Zitat 4)
Eine Einführung in die Anwendung des Gedankengutes von Immanuel Kant finden Sie auf diesem Poster, der am DGPPN-Kongress 2009 in Berlin vorgestellt worden ist.
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(letztes Änderung am 24.12.2017, abgelegt unter Schizophrenie, Diagnostik)
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