Missverständnis einer psychiatrischen Idee

Man missversteht eine psychiatrische Idee wenn man glaubt, dass man eine solche Idee objektivieren kann.

Eine psychiatrische Idee ist eine bloße Idee. Eine solche Idee kann man nicht objektivieren. Eine solche Idee entsteht zwar auf der Grundlage der Erfahrung – also empirisch – aber eine solche Idee kann man nicht „physisch“ überprüfen. Bei einer solchen Idee handelt es sich um etwas ganz anderes als bei einer Idee in der Medizin, die man auf der Grundlage von körperlichen Merkmalen überprüfen – sprich objektivieren kann. (vgl. mit Kant Zitat 7)

Eine psychiatrische Idee gründet sich auf psychische Phänomene. Ein psychisches Phänomen hat keinen direkten Bezug zu einem körperlichen Objekt. (vgl. mit Kant Zitat 7)

Daher kann man ein solches Phänomen nicht objektivieren. Man kann ein psychisches Phänomen nicht auf der Grundlage der Körperlichkeit, bzw. auf der Grundlage von einem oder von mehreren körperlichen Objekten, bzw. auf der Grundlage von einem oder mehreren körperlichen Befunden objektiv bestimmen.

Man kann ein psychisches Phänomen nur subjektiv gültig auf der Ebene der Vorstellungen (Ideen) „bestimmen“ bzw. erkennen. Man kann ein psychisches Phänomen also nicht „physisch“ überprüfen, das heißt man kann  ein psychisches Phänomen nicht objektivieren, sprich man kann es nicht allgemein gültig bestimmen. Mit nochmals anderen Worten: man kann ein psychisches Phänomen nicht verifizieren und auch nicht falsifizieren. (Weiteres dazu auf Poster 6: Diagnosis in Psychiatry – the Role of Biological Markers – an investigation in the light of Immanuel Kant`s philosophy)

Es handelt sich bei einem psychischen Phänomen um ein Erkenntnisobjekt das man nur subjektiv evident erkennen kann.

Ein solches Erkenntnisobjekt erscheint als der Begriff einer Idee im Bewusstsein einer Person.  Es handelt sich dabei also um ein Erkenntnisobjekt, das der erkennenden Person nur als mentales Objekt zur Erkenntnis gegeben ist. (vgl. mit Kant Zitat 7)

Ein solches Erkenntnisobjekt das nur als Gegenstand in der Idee im Bewusstsein einer Person erscheint kann man nicht objektivieren.

Man missversteht daher eine psychiatrische Idee, wenn man glaubt, dass man eine solche Idee objektivieren kann.

Aus diesem Grund kann man z.B. weder ein einzelnes psychisches Phänomen in der Psychologie, noch ein einzelnes psychopathologisches Phänomen in der Psychiatrie, noch eine psychiatrische Diagnose objektiv gültig bestimmen.

Auch in der Psychotherapie kann man aus den vorgenannten Gründen keine objektiven Erkenntnisse erlangen.

Und auch in der psychiatrischen Wissenschaft kann aus den vorgenannten Gründen keine objektiven Erkenntnisse erlangen. Ja man kann in der psychiatrischen Wissenschaft mit der Methode der Statistik nicht einmal eine Annäherung zur Gewissheit erlangen, sondern nur Wissen im Sinn von einer Scheinbarkeit im Vergleich zu einer anderen Scheinbarkeit. (Weiteres dazu auf Poster 3: PROBABILITY IN MEDICINE AND IN PSYCHIATRY – IN THE LIGHT OF IMMANUEL KANT`S PHILOSOPHY)

Man kann also in der Psychiatrie zum Beispiel weder eine „Antriebsstörung“, noch eine formale, oder inhaltliche „Denkstörung“ objektivieren. Man kann auch nicht eine psychiatrische Diagnose, etwa die Diagnose Schizophrenie oder die Diagnose ADHS oder die Diagnose Demenz, oder überhaupt eine Psychose oder sonst eine psychische Störung objektivieren.

All diese psychiatrischen Diagnosen werden auf der Grundlage von psychischen Phänomenen und auf der Grundlage von  psychischen Symptomen erlangt – die als bloße Ideen im Bewusstsein der erkennenden Personen erscheinen. Weil man weder ein einzelnes psychisches Phänomen noch ein einzelnes psychisches Symptom objektivieren kann – kann man auch eine psychiatrische Diagnose – die aus diesen Merkmalen bzw. die aus einem solchen Symptomenkomplex abgeleitet wird – nicht  objektiv bestimmen.

Man täuscht sich also wenn man glaubt, dass man eine psychiatrische Idee objektivieren kann. (vgl. mit Kant Zitat 4)

Karl Jaspers hat dies erkannt. (vgl. mit Jaspers Zitat)

Daher sagt Karl Jaspers dass sich die Krankheitseinheit in irgend einem Fall niemals verwirklichen lässt. (vgl. mit Jaspers Zitat 6)

Tatsächlich hat man bis zum heutigen Tag noch in keinem einzigen Fall einer psychiatrischen Diagnose, weder in der psychiatrischen Praxis noch in der psychiatrischen Wissenschaft eine solche Diagnose objektivieren können. Man kann nur manchmal eine psychiatrische Diagnose durch körperliche Befunde erklären – wenn man entsprechende Befunde  im Rahmen der körperlichen Abklärung findet – aber objektivieren kann man die psychiatrische Diagnose dadurch nicht. Man kann nämlich im Zweifelsfall auf der Grundlage eines solchen körperlichen Befundes nicht objektiv gültig entscheiden, ob die Person eine gewisse psychische Störung „hat“ oder nicht „hat“.

Man kann in der Psychiatrie immer nur auf der Ebene der Vorstellungen – also auf der Ebene der bloßen Ideen – entscheiden, ob eine Person an einer gewissen psychischen Störung leidet bzw. sie eine solche Störung „hat“ oder nicht „hat“.

Wird dieser Unterschied zwischen der Körperlichkeit und der Psyche nicht beachtet dann treten diverse Probleme auf.

Wird also nicht beachtet, dass es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen einem physischen Objekt und einem mentalen Objekt gibt, dann führt dieser Irrtum zu diversen Problemen.

Ein Gegenstand schlechthin ist nämlich etwas ganz anderes als ein Gegenstand in der Idee. (vgl. mit Kant Zitat 7)

Ein real existentes Objekt bzw. einen Gegenstand schlechthin kann man in der Regel objektiv bestimmen – man kann also einen solchen Gegenstand auf der Grundlage der Körperlichkeit bzw. der „Physis“ bestimmen. (vgl. mit Kant Zitat 7)

Eine psychiatrische Idee – die als mentales Objekt, als das Schema einer Idee im Bewusstsein einer Person erscheint –  kann man nicht objektiv bestimmen. (vgl. mit Kant Zitat 7 und mit Jaspers Zitat)

Das heißt eine Erscheinung – ein psychisches Phänomen – kann man nicht objektivieren.

Wenn man der Ansicht ist, dass eine solche Erkenntnis „objektiv“ – sprich allgemein gültig ist – dann handelt es sich dabei nur um eine subjektive Überzeugung, also um subjektives Wissen bzw. um einen Glauben aber nicht um allgemein gültiges Wissen.

Daher sagt Karl Japsers treffend, dass man sich dem Ganzen der Idee durch das Schema der Idee nur nähern kann – aber objektiv bestimmen bzw. allgemein gültig erreichen kann man die Idee nicht. (vgl. mit Jaspers Zitat)

Bekanntlich „nähert“ man sich in der psychiatrischen Praxis und auch in der psychiatrischen Wissenschaft den psychiatrischen Ideen mit Hilfe der psychiatrischen Kategorien. Diese Kategorien sind nämlich die Schemata dieser diagnostischen Ideen.

Tatsächlich kann man sich durch ein solches Schema dem Typus bzw. dem Ideal der jeweiligen psychiatrisch diagnostischen Idee nähern (vgl. mit Jaspers Zitat). Immer handelt es sich dabei jedoch um beschränktes Wissen bzw. um relatives Wissen. Man kann eine Idee in der Psychiatrie nie absolut erreichen. (vgl. mit Jaspers Zitat 6)

Dieser Beschränktheit des Wissens in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) sollte man sich bewusst sein. Und sollte man daher solche Ideen nur relativistisch verwenden. (vgl. mit Kant Zitat 4)

Oder wie es Karl Jaspers formuliert hat: man sollte solches Wissen in der Schwebe halten. (vgl. mit Jaspers Zitat 2)

Wenn man sich dieser Relativität bzw. dieser Beschränktheit des psychiatrischen Wissens nicht bewusst ist, und wenn man glaubt objektives Wissen mit Hilfe einer psychiatrischen Idee erlangt zu haben oder erlangen zu können, dann hat man sich getäuscht – dann hat man die psychiatrische Idee missverstanden (vgl. mit Kant Zitat 4) – und führt solches Missverständnis umgehend zu Widersprüchen (Antinomien) – wie dies ebenfalls bereits Karl Jaspers erkannt hat. (vgl. mit Jaspers Zitat)

 

(Beitrag in Arbeit, letztes update 26.8.2011)

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