Fallbeispiel A: Kopfschmerzabklärung / Meningeom / Operationsindikation

In diesem Beitrag wird ein Fallbeispiel in Bezug auf den richtigen und den falschen Gebrauch einer medizinischen Idee dargestellt und diskutiert.

Insbesondere werden die nachteiligen, praktischen Folgen des konstitutiven Gebrauchs einer Idee aufgezeigt. (vgl. mit Kant Zitat 3a)

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Bei einer Patientin wurde vor ca. 5 Jahren eine Kopfschmerzabklärung durchgefürt. In der Computertomographischen Untersuchung des Kopfes (CCT) fand sich im Scheitelbereich ein klein-kirschgroßes Meningeom im Schädelinneren im Bereich zwischen dem Schädelknochen und dem Gehirn.

Es stellte sich die Frage: Ist der Kopfschmerz durch dieses Meningeom verursacht?

und weiters die zweite Frage: Soll dieser Tumor operativ, also neurochirurgisch entfernt werden?

Ein Arzt A war der Ansicht, dass nun die Ursache des Kopfschmerzes gefunden worden ist und es hat dieser Arzt der Patientin dringend geraten den Tumor entfernen zu lassen, weil dieser sonst bald noch größere Probleme bereiten würde.

Dazu ist allgemein zu sagen, dass natürlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Meningeom Kopfschmerzen verursacht. Ob das gefundene Meningeom allerdings die Ursache des Kopfschmerzes ist, kann durch den bildgebenden Befund  der das Meningeoms zeigt, nicht gesagt werden. Es kann nämlich sein, dass das Meningeom ein sogenannter Zufallsbefund ist – das heißt, dass das Meningeom zufälligerweise im Rahmen der Abklärung entdeckt worden ist, und dieses nicht die Ursache der fallweise auftretenden Kopfschmerzen ist, sondern der Kopfschmerz infolge einer oder mehrerer anderer Ursachen auftritt.

Wie viel das Meningeom zum Kopfschmerz beiträgt, ob das Meningeom die Ursache des Kopfschmerzes ist, kann kein Arzt in diesem Erkenntnisstadium „wissen„, sondern es handelt sich hierbei – wenn ein Arzt eine diesbezügliche Meinung vertritt um ein „Wahrnehmungsurteil“ im Sinn von Immanuel Kant (weiters dazu siehe auch den Beitrag: empirische Urteile siehe auch das Kant Zitat 9 – Meinen, Glauben Wissen.)

Es ist in diesem Erkenntnisstadium also nicht erwiesen, dass das Meningeom die Ursache für ein relevantes medizinisches Problem ist. Damit ergibt sich nur eine fragliche Indikation, keinesfalls handelt es sich dabei um eine vitale Indikation für eine neurochirurgische Operation.

Es kann nämlich durchaus sein, dass ein relevantes Wachstum bei diesem Meningeom gar nicht mehr vorhanden ist, dass das Meningeom also gleichsam schon „ausgewachsen“ ist, und kein reales Problem als Folge dieses Meningeoms besteht und im Fall des Nicht-mehr-Wachsens auch in Zukunft kein relevantes Problem entsteht.

Damit sei darauf hingewiesen, dass ein „Wissen“ um die „Ursache“ des Kopfschmerzes nicht gegeben ist, wenn im Rahmen der ersten Computertomographischen Untersuchung das Meningeom aufgezeigt werden konnte. (vergleiche Kant Zitat 3a).

Insofern der Arzt A, der Patientin die operative Entfernung des Meningeoms dringend empfohlen hat (er eine solche Schlussfolgerung aus seiner Idee ableitet hat) vertrat er eine Ansicht die nicht objektiv gerechtfertigt war, weil er die Vorstellung (die Idee): Meningeom – Konnex – Kopfschmerz aus dem  medizinischen Befund falsch abgeleitet hat.

Der Arzt A hat also die Idee: dieses Meningeom ist die Ursache des Kopfschmerzes konstitutiv im Sinne von Immanuel Kant gebraucht (vgl. mit Kant Zitat 3a und Kant Zitat 5). Mit anderen Worten der Arzt A hat also seine Idee falsch gebraucht bzw. falsche Schlussfolgerungen aus seiner Idee abgeleitet.

Derartige, vorschnelle Schlussfolgerungen sind in der medizinischen Praxis häufig zu beobachten: Wenn die körperliche Abklärung eine (mögliche) „handfeste“ organische Ursache zeigt, so wird oftmals allein schon auf Grund dieser möglichen Ursache darauf geschlossen,  dass dies die eigentliche  „Ursache“ ist. Tatsächlich ist dies zum Zeitpunkt der Erstdiagnose jedoch noch nicht entscheidbar, da es sich um subjektives Wissen und nicht um objektives Wissen handelt.

Eine solche Schlussfolgerung ist zwar logisch richtig, sie ist jedoch nicht unbedingt zutreffend, es kann auch eine andere logische Schlussfolgerung richtig sein.

In der Praxis ging es mit der vorgenannten Patientin so weiter, dass diese sich nicht „blind“ das heißt unkritisch der Sichtweise des Arztes A angeschlossen hat, sondern hatte sie gewisse Bedenken und hat sie sich daher eine zweite Meinung (second opinion) eingeholt. Dieser Arzt B hat ihr die Sache aus seiner Sicht erklärt, und ihr dazu geraten zuzuwarten und den weiteren Verlauf abzuwarten. Mit anderen Worten: er hat ihr geraten sich nicht sogleich zur Operation zu entschließen, sondern ihr empfohlen nach 3 Monaten zu einer Verlaufskontrolle zu kommen bzw. vorher zu kommen falls sich die Symptomatik – im Vergleich zu früher verändern würde – damit der weitere Verlauf beurteilt werden kann. Aus dem Verlauf – und den Computer-tomographischen Kontrollen würde es sich sodann erweisen, ob eine entsprechende Operation notwendig wird oder nicht.

So ist es dann tatsächlich auch geschehen. Die Patientin hat sich zur Verlaufsbeobachtung entschlossen und zugewartet und es konnte im konkreten Fall im Verlaufe der vergangenen 10 Jahre bis dato, im Rahmen von Computer-tomographischen Verlaufskontrollen aufgezeigt werden, dass das Meningeom, im Beobachtungszeitraum nicht gewachsen ist. Nebenbei bemerkt, hatte die Patienten weiterhin zeitweise Kopfschmerzen, die Kopfschmerzen waren in der weiteren Folge jedoch kein herausragendes Problem mehr, und es hat sich die Patientin bis zum heutigen Tag eine neurochirurgische Operation erspart.

Abschließend kann man also sagen, dass dem Arzt A die Präsenz des Meningeoms als die Ursache des Kopfschmerzes erschien während dem Arzt B es schien, dass das Meningeom nicht die Ursache – oder jedenfalls noch nicht die gesicherte Ursache – für den Kopfschmerz ist.

(Anmerkung: die Worte „erschien“ und „schien“ sind in der Farbe rot hervorgehoben worden um zu verdeutlichen, dass durch den Sprachgebrauch ausgedrückt bzw. deutlich wird, dass es sich um „Wahrnehmungsurteile“ bei den Ärzten A und B handelt und nicht um „Erfahrungsurteile“ im Sinn des Kant Zitates 6 handelt.

Zusammenfassung und abschließende Diskussion:

Das Meningeom ist bei der Patientin zwar objektiv vorhanden, ob es jedoch die Ursache des Kopfschmerzes ist, ob der Kopfschmerz dadurch „bedingt“ bzw. verursacht ist, kann aus dem Vorhandensein des Meningeoms nicht erkannt werden bzw. handelt es sich hierbei nicht um objektives Wissen.

Ein solches Wissen aus der Präsenz des Meningeoms abzuleiten, bedeutet die Idee – im Kant`schen Sinn konstitutiv zu gebrauchen. Der konstitutive Gebrauch ist jedoch grundsätzlich falsch (vgl. Kant Zitat 3a).

Es handelt sich hierbei also vorerst nur um ein subjektives Wissen, ein subjektives Fürwahrhalten und nicht um objektives Wissen. (vgl. mit Kant Zitat 9)

Wäre das Meningeom allerdings weiter gewachsen, wie sich dies im Rahmen der CT – Verlaufskontrollen gezeigt hätte, und hätte auch die Kopfschmerzsymptomatik zugenommen, so hätte es sich allerdings erwiesen, dass das Meniningeom – welches primär nur eine mögliche Ursache für den Kopfschmerz war – die tatsächliche Ursache ist bzw. und wäre es sodann natürlich angebracht (indiziert) gewesen das Meningeom operativ zu entfernen.

(Angemerkt sei an dieser Stelle, dass ein Meningeom auch andere Symptome wie Kopfschmerzen verursachen kann, worauf in diesem Beitrag nicht eingegangen wurde.)

Der Fall macht deutlich, dass es oftmals angezeigt ist sich eine „zweite Meinung„, eine „second opinion“ einzuholen, bevor man sich zu einem schwerwiegenden Eingriff oder zu einer konsequenzenreichen Behandlung entschließt.

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(letzte Änderung 18.7. 2016, abgelegt unter Medizin, medizinische Diagnostik, Erkennen)

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