Diagnose : ein Begriff zur Bezeichnung einer gesundheitlichen Störung

In der Medizin und in der Psychiatrie bezeichnet das Wort Diagnose einen Begriff unter dem eine gesundheitliche Störung (Krankheit) aufgefasst wird.

Eine medizinische Diagnose steht also für eine körperliche Krankheit (gesundheitliche Störung), die unter diesem Begriff aufgefasst wird.

Eine psychiatrische Diagnose steht für eine psychische Störung,  die unter diesem Begriff aufgefasst wird.

Dabei sollte man folgendes bedenken:

Die Realität kann durch ein Wort (und auch durch mehrere Worte) nur beschränkt beschrieben und aufgefasst werden:

Ein Wort bzw. der Wortinhalt (der Sinn der hinter dem Wort  steht) bezeichnet einen gewissen Sachverhalt. Nun sollte man aber bedenken, dass eine gesundheitliche Störung (Krankheit) eine dynamische Sache ist.

Dies hat zur Folge, dass durch eine Diagnose, also durch eine definierte Bezeichnung unter Umständen der Sachverhalt nur beschränkt zutreffend beschrieben wird. Dieser Tatsache sollte man sich bewusst sein – egal um was für eine Diagnose es sich handelt.

Daher sollte man eine in der Vorzeit gestellte Diagnose immer wieder hinterfragen und prüfen, ob diese Diagnose auch in der Gegenwart noch gültig ist bzw. ob sie noch zutreffend ist. Man sollte also prüfen in welchem Verhältnis die Diagnose zum realen Sachverhalt steht. Beschreibt die Diagnose die Realität noch zutreffend oder ist dies nicht der Fall?

Wenn in der Vorzeit z.B. ein Knochenbruch diagnostiziert worden ist, so meint man damit den Zustand, wie er zur Zeit des Unfalls aufgetreten ist. Bekanntlich heilt ein Knochenbruch in der Regel in einigen Wochen ab und findet man demgemäß einige Zeit später bereits veränderte Verhältnisse an der Stelle des Knochenbruchs. Damit wird deutlich, dass auch in diesem Fall die Situation sich fortlaufend ändert und genau genommen auch in diesem Fall die Diagnose nur eine Aussage über die Vergangenheit macht.

Wie ist es nun wenn bei der Diagnose eine psychische Störung festgestellt wird? Wenn z.B.  in der Vorzeit die Diagnose „Schizophrenie“ festgestellt worden ist – wie lang ist diese Diagnose bzw. diese Bezeichnung gültig?

Ist die Diagnose „Schizophrenie“ nach ein paar Wochen noch gültig, oder ist sie dann nicht mehr gültig? Mit anderen Worten gefragt: ist die Diagnose noch zutreffend oder ist einige Zeit später nicht mehr zutreffend?

Die Erfahrung lehrt, dass in vielen Fällen nach ein paar Wochen der Behandlung – manchmal auch ohne Behandlung – die charakteristischen psychischen Symptome und psychischen Phänomene nicht mehr vorhanden sind, die anfänglich Anlass zur Diagnose: „Schizophrenie“ gegeben haben.

Wenn die charakteristischen psychischen Symptome und psychischen Phänomene  nicht mehr vorhanden sind, dann kann im Prinzip eine Fachperson keine solche Diagnose mehr feststellen, wenn sie zu dieser Zeit die betroffene Person untersucht.

In einem solchen Fall ist also die ursprünglich gestellte Diagnose nicht mehr zutreffend. (Wenn die Vorgeschichte der Fachperson allerdings bekannt ist, so werden in der Regel allenfalls vorhandene diskrete Auffälligkeiten – wie sie auch im Rahmen der Normalpsychologie da und dort zu beobachten sind – spezifisch interpretiert und unter Umständen der diagnostische Begriff  und damit die diagnostische Einheit „schizophrene Störung“ noch weiter verwendet. Um eine Stigmatisierung zu vermeiden sollte jedoch gründlich überlegt werden, ob diese diagnostische Bezeichnung noch aufrecht erhalten wird oder nicht.

In diesem Fall wird es zutreffend sein, wenn man von einer erhöhten Vulnerabilität spricht, also wenn man damit zum Ausdruck bringt, dass die Gefahr eines Rückfalls in die Psychose besteht – aber von einer Schizophrenie sollte man in diesem Fall nicht sprechen wenn der psychische Befund die Kriterien der psychiatrischen Kategorie Schizophrenie nicht mehr erfüllt.

Man sollte also in einem solchen Fall, wenn sich der Symptomenkomplex zurückgebildet hat, nicht mehr von einer Schizophrenie sprechen und es kann der Arzt wenn dies angebracht erscheint wegen der erhöhten Vulnerabilität eine spezifische Therapie (Neuroleptika – Therapie) empfehlen bzw. verordnen um das Risiko eines Rückfalls zu vermindern.

In anderen Fällen einer schizophrenen Störung sind nach ein paar Wochen der Behandlung die Symptome zwar weitgehend abgeklungen, weil aber gewisse Symptome im Sinn einer schizophrenen Störung noch vorhanden sind, wird daher in diesen Fällen die anfänglich gestellte Diagnose weiterhin noch zutreffend sein und weiterhin berechtigt verwendet. Wenn die Symptome jedoch ganz abklingen wird die Diagnose „Schizophrenie“ bzw. „schizophrene Störung“  auch in einem solchen Fall nicht mehr zutreffend sein.

Schließlich gibt es Fälle, bei denen nach längerer oder langer Behandlung weiterhin gewisse spezifische Symptome im Sinn einer schizophrenen Störung fortbestehen. Das heißt in diesen Fällen ist es nur zu einer teilweisen Rückbildung der Symptome und Phänomene gekommen und spricht man daher von einem Residualzustand einer schizophrenen Störung welcher fortbesteht. In diesen Fällen wird die Diagnose „schizophrene Störung“ bzw. „Residualzustand nach schizophrener Störung zutreffend sein und die Diagnose weiterhin verwendet werden.

Man sieht also, dass die anfänglich gestellte Diagnose: „Schizophrenie“ bzw. „schizophrene Störung“, die infolge der ursprünglich bestehenden psychischen Symptome und psychischen Phänomene – die auch als psychopathologische Phänomene bezeichnet werden – gestellt worden ist – den Sachverhalt zu einem späteren Zeitpunkt unter Umständen nicht mehr zutreffend beschreibt bzw. unter Umständen genau genommen falsch ist.

Daher sollte das Zutreffen einer einmal ausgesprochen Diagnose immer wieder hinterfragt und nachgeprüft werden – ob die Benennung für den vorliegenden aktuellen Zustand noch zutreffend ist.

Immanuel Kant schreibt, dass eine Idee nur regulativ und nicht konstitutiv ist (vgl. mit Kant Zitat 3a).

Man kann daher auch sagen, dass Aussagen, die aus einer Idee abgeleitet werden nur relativ gültig sind; das bedeutet sie gelten nur beschränkt – eben relativ in Bezug auf die angewandte Idee. (vgl. mit Kant Zitat 3a)

Daher sollte man z.B.  nicht hergehen und aus einer festgestellten Diagnose ableiten („herauslesen“) wie der weitere Verlauf sein wird. Mit anderen Worten: man kann aus einer einmal festgestellten Diagnose nichts Konkretes über den weitern Verlauf sagen und ableiten und man sollte dies daher auch nicht tun – darum sagt Immanuel Kant eben sehr treffend, dass Ideen nicht konstitutiv sondern nur regulativ sind. (vgl. mit Kant Zitat 3a). Dies sollte man in der Psychiatrie (Psychologie) und auch bei den medizinischen Diagnosen beachten, die man nur auf der Grundlage eines Symptomenkomplexes erkennen kann.

Nicht wenige Menschen leiden unter einer stigmatisierenden psychiatrischen Diagnose, die irgendwann gestellt worden ist (irgend wo noch auf einem Papier, z.B. einem ärztlichen Entlassungsbericht aus einer psychiatrischen Klinik steht – oder in einer digitalen Datei weiterhin vorhanden ist) und es wird die betroffene Person die psychiatrische Diagnose nicht mehr „los“, obwohl die Person möglicherweise keinerlei charakteristische Symptome/ Phänomene und daraus resultierende Probleme mehr hat, wie sie sie damals zur Zeit hatte, als die psychiatrische Diagnose festgestellt worden ist.

Das bedeutet die Diagnose war nur zur Zeit richtig als sie gestellt worden ist – später war sie aber unter Umständen nicht mehr richtig bzw. nicht mehr zutreffend.

Weil in der Psychiatrie nicht objektiv festgestellt werden kann, ob eine psychiatrische Diagnose zutreffend ist oder  nicht – kommt es in der ärztlichen Praxis nicht selten vor, dass später konsultierte Ärzte / Fachärzte eine in der Vorzeit festgestellte psychiatrische Diagnose nicht in Frage stellen – und daher die betroffene Person, die in der Vorzeit festgestellte psychiatrische Diagnose nicht mehr „los“ wird. Das heißt sie haftet der Person wie ein bleibender Makel an.

Das heißt in diesen Fällen wird die Diagnose irrtümlicherweise konstitutiv im Kant`schen Sinne gebraucht bzw. wird sie weiterhin so verwendet. Wie man leicht einsieht – kann dies für die betroffene Person weitreichende, nachteilige Folgen haben.

Es besteht also die große Gefahr, dass eine psychiatrische Diagnose als Stigma fortbesteht, obwohl keine Krankheitszeichen mehr vorhanden sind.

Aus diesem Sachverhalt erkennt man, wie wichtig es in der Psychiatrie ist, dass die fachlichen Begriffe, insbesondere die Diagnosen richtig nämlich regulativ (vgl. mit Kant Zitat 3a) und damit relativiert bzw. relativistisch verwendet werden. (vgl. mit Kant Zitat 4)

Daher sagt der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers, dass man solches Wissen in der Schwebe halten sollte. (vgl. mit Jaspers Zitat 2)

Das heißt man sollte immer wieder kritisch hinterfragen und prüfen, ob die diagnostische Bezeichnung weiterhin noch zutreffend ist oder nicht.

Man kann also einsehen, dass nur der regulative und nicht der konstitutive Gebrauch der Ideen bzw. der fachlichen Begriffe in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) richtig ist.

Wie man ebenfalls leicht einsehen kann, treten solche Probleme in der somatischen Medizin nicht auf, wenn eine Diagnose auf der Grundlage von objektiven Befunden festgestellt wird und daher zu einem späteren Zeitpunkt überprüft werden kann, ob die Diagnose noch zutreffend ist. Wenn zum Beispiel jemand eine Infektionskrankheit hatte und durch Labor- und sonstige Untersuchungen zu einem späteren Zeitpunkt eindeutig nachgewiesen werden kann, dass diese Krankheit abgeklungen  bzw. ausgeheilt ist, dann konnte objektiv gültig der Nachweis erbracht werden, dass die ursprüngliche Diagnose nicht mehr zutreffend ist.

Man sieht damit wie wichtig die kritische Verwendung der medizinischen und psychiatrischen Begriffe ist – und wie insbesondere in der Psychiatrie die unkritische Verwendung der Fachbegriffe sehr nachteilige Folgen im Sinn der Stigmatisierung nach sich ziehen kann die verständlicherweise für die betroffene Person sehr belastend sind.

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(Beitrag in Arbeit, die letzte Änderung erfolgte am 9.10.2013, abgelegt unter Medizinische Diagnostik, Psychiatrie)

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