In der psychiatrischen Klassifikation hat man das Konzept Neurose weitgehend gestrichen. (Weiteres dazu in diesem Beitrag von Prof. Dr. med. Volker Faust)
Einerseits wollte man die Begriffe für die psychischen Störungen „wertfrei“ halten und andererseits ist der Begriff Neurose so vielfältig interpretiert und definiert worden, so dass eine klassifikatorische Brauchbarkeit nicht mehr gegeben schien.
Tatsache ist jedoch, dass die psychischen Störungen dialektisch erfasst werden. Das heißt psychische Störungen und damit psychiatrische Diagnosen können nur auf der Grundlage der unterschiedlichen Symptomenkomplexe bzw. auf der Grundlage der unterschiedlichen klinischen Erscheinungsbilder festgestellt werden.
Erkenntnistheoretisch bzw. philosophisch betrachtet wird also eine psychiatrische Diagnose auf der Ebene der Ideen erlangt. Man erlangt im Rahmen der klinischen Untersuchung und auf der Grundlage der Krankengeschichte (Anamnese) eine Vorstellung, also eine Idee, und erkennt durch den Vergleich der erlangten Idee mit anderen Ideen, die einem bekannt sind, die Erkenntnis, ob das klinische Erscheinungsbild die Kriterien einer psychiatrischen Diagnose hinreichend erfüllt oder nicht. Das heißt durch das Vergleichen und geistige Abwägen von Vorstellungen (Ideen) wird die Erkenntnis erlangt.
Man kann in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) nicht wie in der körperlichen Medizin eine Erkenntnis auf der Grundlage eines real existenten Objekts, also auf der Grundlage der Körperlichkeit, sprich auf der Grundlage des Körpers bzw. auf der Grundlage eines körperlichen objektiven Befundes diagnostisch bestimmen. (vgl. mit Kant Zitat 7)
Man kann in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) eine Erkenntnis nur auf der Ebene der Ideen gewinnen. Man kann eine psychische Störung nur auf der Grundlage eines psychischen Befundes und der Anamnese diagnostisch bestimmen. Körperliche Befunde liefern nur zusätzliche Informationen.
Diese Tatsache bringt es mit sich, dass man ein dialektisches Pendant haben muss, um eine Idee geistig „ermessen“ zu können. Das heißt man muss ein geistiges Pendant haben um geistig abzuwägen zu können, ob etwa eine Psychose vorliegt oder nicht. Man kann nicht hergehen und eine Psychose auf der Grundlage der Körperlichkeit diagnostisch bestimmen. (Weiteres dazu auf Poster 6: Diagnosis in Psychiatry – the Role of Biological Markers – an investigation in the light of Immanuel Kant`s philosophy)
Diese Tatsache ist offensichtlich bei der Abschaffung bzw. bei der Verbannung des Begriffs Neurose aus der psychiatrischen Klassifikation nicht bedacht worden. Daher drängen nun andere Ersatzbegriffe wie z.B. der Begriff „narzisstische Störung“ in das Bewusstsein der Köpfe weil man tatsächlich ein dialektisches Pendant benötigt um psychiatrisch denken zu können.
Überhaupt erscheint es nicht ziel führend und hilfreich zu sein regualtive Begriffe die empirisch entstanden sind per Konvention zu verbannen – wo diese offensichtlich einen praktischen Nutzen haben – sonst wären sie ja nicht entstanden. (vgl. mit Kant Zitat 4 und Kant Zitat 2)
Vielmehr sollte man sich in der Psychiatrie und insbesondere in der psychiatrischen Wissenschaft um die richtige Verwendung der psychiatrischen Ideen bemüht sein. Das heißt man sollte generell in der Psychiatrie und auch in der Psychologie und Psychotherapie sich um die richtige – nämlich die relativistische Verwendung der Ideen bemühen – anstelle per Konvention (d.h. dogmatisch) Ideen zu „verbannen“. (vgl. mit Kant Zitat 4 und dem Jaspers Zitat sowie den weiteren Jaspers Zitaten)
Das heißt die Psychiatrie der Gegenwart muss sich den Vorwurf gefallen lassen nicht zu beachten auf welcher Erkenntnisbasis ihre Erkenntnisse entstehen. Mit anderen Worten: die Psychiatrie der Gegenwart beachtet nicht, dass es einen großen Unterschied zwischen einen mentalen Erkenntnisobjekt und einem physisch körperlichen Erkenntnisobjekt gibt. (vgl. mit Kant Zitat 7)
Im Gegensatz zur Psychiatrie der Gegenwart wäre nämlich eine aufgeklärte Psychiatrie bemüht ihre Ideen richtig zu verwenden – und wäre es dann entbehrlich – per Konvention einzugreifen um gewisse Begriffe abzuschaffen und andere zu propagieren.
Abschließend kann man also sagen, dass der Begriff „Neurose“ nicht entbehrlich ist. Man braucht in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) einen Begriff der ein Pendant zum Begriff Psychose darstellt. In der Psychiatrie kann man psychische Erscheinungen nur auf der Grundlage von gegensätzlichen Ideen erkennen, weil es sich dabei um bloße Ideen handelt. Man täuscht sich in der Psychiatrie wenn man glaubt, dass man eine solche Idee auf der Grundlage von körperlichen Fakten bestimmen kann. Daher ist die Psychiatrie eine dialektische Disziplin.
(Beitrag in Arbeit, letztes update 21.7.2011)
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