Exorzismus – Ergebnis der falschen Verwendung einer Idee

An Besessenheit zu glauben und als Psychiater den Exorzismus (-> WikipediaArtikel) als geeignete Therapie zu empfehlen resultiert, wie gezeigt werden kann, aus dem falschen Gebrauch einer Idee.

Die Vorstellung dass die betroffene Person vom Teufel oder einem Dämon besessen ist, resultiert nämlich aus subjektivem Wissen das einer kritischen Prüfung nicht standhält.

Viel besser wäre es der Person keine solche Vorstellung anzusagen – respektive ihr keinen solchen Inhalt als zutreffende Idee zu suggerieren.

Derartige Vorstellungen hat die Person nämlich gerade durch diese Ansage – man kann unter Umständen auch sagen durch diese Suggestion – infolge ihrer Imagination – in ihrem Denken entwickelt.

Es handelt sich bei der Vorstellung der Besessenheit also um eine Einbildung, die infolge einer Ansage respektive infolge einer inhaltlichen Vorgabe bei gleichzeitig unkritischem Denken entstanden ist.

Erkenntnistheoretisch betrachtet handelt es sich bei der Idee der „Besessenheit“ um eine bloße Idee im Sinne von Immanuel Kant.

Eine solche Idee entsteht in manch einer Person auf der Grundlage ihres persönlichen Glaubens.

Man kann auch sagen: es entsteht diese Imagination infolge ihrer Vorstellungen, die sie auf der Grundlage ihres Glaubens bzw. der Überlieferung entwickelt hat.

Dabei können als Folge dieser Einbildung auch Halluzinationen auftreten, ohne dass sonst die Kriterien einer Psychose bestehen.

Allerdings wird dies nur bei entsprechender Disposition und daher nur bei gewissen Personen (etwa bei eingeengtem Weltbild mit entsprechender Erwartungshaltung – eben dass etwa ein Dämon – oder der Teufel von einem Besitz ergreifen kann) auftreten.

Mit anderen Worten: nicht jede Person wird leicht dahin geraten derartige Vorstellungen oder geradezu Halluzinationen zu entwickeln – gewisse Personen unter bestimmten Umständen jedoch sehr wohl; und es handelt sich dann eben um ein abnormes psychisches Phänomen oder manchmal um ein psychopathologisches Phänomen mit halluzinativem Erleben, bei dem die betroffene Person das Gefühl hat, dass „etwas“ mit ihr „geschieht“ – eben dass sie Gefühl hat vom Teufel oder Dämon besessen zu sein.

Das heißt: je nach dem von welchen Ideen / Vorstellungen die Person schon im Vorfeld geleitet und beeinflusst war, kann es leicht geschehen,  dass sie unter Umständen eine solche außergewöhnliche und damit abnorme Idee und in diesem Zusammenhang das auffällige psychische Phänomen der Besessenheit entwickelt.

Es spielt hier also eine Rolle in welchem Umfeld, mit welcher Erwartungshaltung, mit welchen Vorstellungen die betroffene Person lebt, was ihr angesagt worden ist, insbesondere wenn sie leichtgläubig ist, an was sie in ihrem täglichen Leben oftmals denkt und daher leicht glaubt – und was sie eben gemäß ihrem Glauben und ihren Vorstellungen erwartet, etwa wenn sie einen Fehler gemacht hat und sie zum Beispiel ihr Handeln als Sünde erlebt usf.

Es spielen hier also die Vorstellungen und Einstellungen, nicht nur in Bezug auf das Jenseits – etwa das Leben nach dem Tod – eine Rolle, sondern unter Umständen auch Vorstellungen bzw. Erwartungen in Bezug auf das Diesseits – und es sind diese Inhalte von entscheidender Bedeutung und Konsequenz für die Psyche und den Inhalt der psychischen Störung der betroffenen Person.

Bio-psychologisch betrachtet kann man sagen, dass hier der Inhalt der Psyche  bestimmt welche neuronalen Muster im Gehirn der betroffenen Person ablaufen und was diese daher in ihrem Bewusstsein als psychisches Phänomen erlebt.

Man kann nämlich die Psyche und damit auch den Geist der betroffenen Person und ihre Biologie nicht wirklich voneinander trennen und diese Aspekte des Menschseins als eigenständige Teile ansehen.

Es ist hier nämlich von großer Bedeutung und Tragweite, was der betroffenen Person angesagt wird und was sie infolge des angesagten „Glaubens“ als zutreffende Vorstellung in ihr Denken übernommen hat und daher „glaubt“ und denkt.

Philosophisch gesprochen kann man sagen: es ist von großer Bedeutung was die betroffene Person auf ihre Situation und Lebensumstände projiziert. Demgemäß wird sie unter Umständen tatsächlich erleben – was sie erwartet – eben, was sie auf den Sachverhalt als Vorstellung bzw. als Imagination projiziert hat.

Das heißt die Idee der „Besessenheit“ entsteht in der Person als Folge ihr Art zu Denken und den Sachverhalt geistig als denkendes Wesen zu sehen.

Mit anderen Worten: es handelt es sich hierbei nicht um Wissen das durch kritische Überlegung erlangt worden ist, sondern um ein Wissen das von gewissen Vorstellungen ausgeht, die ihr direkt oder indirekt angesagt worden sind.

Dabei erlangt die erkennende Person nur subjektives Wissen und damit kein Wissen das für jede Person bzw. für Jedermann / jede Frau gültig ist.

Dieses Sachverhalts ist sich eine im Sinn der Aufklärung aufgeklärte Person bewusst – insbesondere ein Psychiater der jahrelang an einer psychiatrischen Klinik gearbeitet hat und hier die Vielfalt der psychischen Störungen kennen gelernt hat.

Das heißt man sollte sich dessen bewusst sein – und auch im 21. Jahrhundert bewusst bleiben, dass es sich beim Glauben an Besessenheit um subjektives Wissen und nicht um objektives Wissen handelt.

Es ist zwar so, dass man in Bezug auf ein transzendentales Erkenntnisobjekt in keinem Fall allgemein gültiges Wissen erlangen kann, bzw. man in Bezug auf eine transzendentale Idee generell kein objektives Wissen und damit kein allgemein gültiges Wissen erlangen kann – aber eben – gerade deswegen sollte man eine solche Idee immer kritisch hinterfragen.

Es handelt sich nämlich bei der Idee der „Besessenheit“ um eine, aus der Erfahrung abgeleitete Idee, die man auf Grundlage der persönlichen Sichtweise bzw. auf Basis des selbst entwickelten, oder einfach übernommen Wissens in den persönlichen Glauben übernommen hat.

Auf jeden Fall handelt es sich dabei um Wissen das auf der Grundlage einer Lehre entstanden ist, die nicht beweisbar ist.

Demgemäß kann man sagen, dass die Diagnose „Besessenheit“ auf einer ideologischen Grundlage, somit infolge eines ideologischen Befundes bei der diagnostizierenden Person entstanden ist.

Man sollte sich also dessen bewusst sein, dass eine solche Idee bzw. deren Begriff als systematische Einheit im Bewusstsein der erkennenden Person entstanden ist (vgl. mit Kant Zitat 7) und dass es keine Möglichkeit gibt diese Idee am Probierstein der Erfahrung (vgl. mit Kant Zitat 10) zu prüfen.

Ebenso kann man sagen, dass der Begriff dieser Idee – oder das hier fragliche Erkenntnisobjekt eine hypothetische Einheit ist bzw. dies eine projektierte Einheit ist.

Es ist eine solcher Begriff also ein persönliches Konzept um dadurch gewisse Zusammenhänge zu verstehen und sich auf dieser persönlichen Glaubensgrundlage die Zusammenhänge so zu verstehen und zu erklären.

Schließlich kann man auch sagen: dass ein solches Verständnis in Bezug auf die Besessenheit eine persönliche Sichtweise bzw. eine subjektive Sichtweise ist, die nicht weiter beweisbar ist, auch wenn hier Ärzte, Psychologen und andere Fachpersonen in der Diagnostik bemüht werden bzw. diese in das theologische Wissen miteinbezogen werden.

Es ist nämlich so, dass man die psychologischen Ideen und ebenso die psychiatrischen Ideen und damit auch die psychiatrischen Diagnosen generell nur subjektiv gültig und nicht objektiv gültig bestimmen kann. Wobei es seit der Zeit der Aufklärung unter aufgeklärten Leuten allgemein anerkannt ist, dass psychische Störungen krankheitswertige gesundheitliche Störungen der Psyche sind und keine moralischen Verirrungen und auch nicht die Folge von dämonischen Obsessionen – also keine Folge der dämonischen Besessenheit.

Man sollte also nicht subjektives Wissen mit objektiven Wissen gleichsetzen bzw. verwechseln (vgl. mit Kant Zitat 9).

Geht man kritisch – also aufgeklärt – an den Sachverhalt heran, so soll man – wenn man auf der Grundlage eines persönlichen Glaubens – falls in ihm – in Folge der Überlieferung – solche Ideen vorkommen – etwa die Vorstellung, dass eine Person vom Teufel „besessen“ ist, oder sonst wie „verhext“ sein kann – diese nicht unkritisch übernehmen und unkritisch – so wie dies im Mittelalter und auch später noch vielfach geschah und auch heute noch teilweise geschieht – auf andere Leute projizieren.

Tatsächlich unterläuft einer Person, wenn sie dies so macht, der Fehler den Immanuel Kant als den konstitutiven Gebrauch der Idee bezeichnet (vgl. mit Kant Zitat 3a). Fall die Person also davon überzeugt ist, dass diese ihre Sichtweise bzw. diese ihre (subjektive) Erkenntnis unzweifelhaft richtig ist – dann sollte sich sich eingestehen dass dies ein Glaube und kein faktisches Wissen ist.

Und tatsächlich ist der konstitutive Gebrauch einer Idee grundsätzlich falsch – wenn man den Sachverhalt kritisch betrachtet (vgl. mit Kant Zitat 3a).

Eine Idee auf diese Arzt zu gebrauchen ist also grundsätzlich falsch – und es sollte gerade ein Psychiater – der auf  der Grundlage seines fachlichen Wissens und auf der Grundlage seiner klinischen Erfahrung sehr wohl wissen kann, wie eine psychische Störung zu verstehen ist, nicht außer acht lassen, dass die gedanklichen Inhalte einer Person durch ihre subjektive Sichtweise bestimmt sind bzw. bestimmt sein können.

Ein Psychiater sollte also berücksichtigen, dass religiöse Ideen unter Umständen krankheitsbedingt sind, oder falls man im konkreten Fall als Fachperson nicht geneigt ist hier den Sachverhalt als psychische Krankheit, sondern als ideologische Verirrung zu diagnostizieren und klassifizieren in Erwägung ziehen, dass die Person wieder zu einer anderen Sichtweise gelangt falls sie sich – unter Beihilfe von fachkundigen Personen – kritisch mit der Thematik befasst. In diesem Fall wird die nicht kranke Person schließlich erkennen – dass sie sich getäuscht hat – und dass es sich hierbei eben um eine (unangemessene) Imagination handelt bzw. gehandelt hat.

Auch wird ein kritischer Psychiater / Psychiaterin beachten, dass eine Idee unter Umständen sich zu einer überwertigen Idee steigern kann, insbesondere falls die betroffene Person in einem gewissen Umfeld lebt und von daher beeinflusst ist.

Falls die Person jedoch nicht geisteskrank ist, wird sie im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung fähig sein ihre Sichtweise an der Realität zu prüfen und letztlich zu korrigieren – und darin liegt der Unterschied zum Wahn bzw. zur Paranoia – wo die betroffene Person krankheitsbedingt diese Korrektur nicht vornehmen kann, und sie daher unverrückbar von der subjektiven Gewissheit überzeugt ist (vgl. mit Kant Zitat 23). Daher der psychiatrische Fachausdruck wahnhafte Gewissheit der in der Psychopathologie vom Philosophen und Psychiater Karl Jaspers geprägt worden ist.

Wie man sich überzeugt handelt es sich beim Wissen um die Besessenheit um Wissen vom Grad eines Glaubens und nicht um Wissen vom Grad der tatsächlichen Gewissheit.

Ein Psychiater der Gegenwart sollte also kritisch sein und nicht eine mittelalterliche Sichtweise vertreten und aus dem Inhalt einer Psychose falsche Schlussfolgerungen in Bezug auf die Ursache der Psychose ableiten.

Ein Psychiater der diesen Sachverhalt ignoriert muss sich jedenfalls den Vorwurf des unkritischen und des unprofessionellen Denkens insbesondere des unprofessionellen psychiatrischen Denkens gefallen lassen, wenn gleich ihm „physisch“ das Gegenteil seiner Sichtweise – wenn er etwa in einem konkreten Fall eine Indikation für einen Exorzismus sieht – nicht bewiesen werden kann.

Unter der Berücksichtigung und der Gewichtung all der Ideen – bzw. aller regulativen Prinzipien – ist es jedoch unprofessionell – angesichts der klinischen Erfahrung eine solche fachliche Sichtweise als Psychiater in der heutigen Zeit zu vertreten. Man kann auch sagen: es ist dies eine fachliche Sichtweise die nicht auf vernünftiger Überlegung beruht.

Wenn also aus subjektivem Fürwahrhalten subjektive Gewissheit entsteht – dann kann man zwar das Gegenteil davon in der Psychologie und auch in der Psychiatrie nicht objektiv gültig beweisen – weil eine solche Erkenntnis sich immer auf der Ebene der Ideen und zwar auf der Ebene der bloßen Ideen bewegt – und man kann daher keinen „physischen“ Beweis des Gegenteils liefern. Tatsächlich handelt es sich jedoch in der heutigen Zeit bei einer solchen Sichtweise um eine unkritische – und im Sinne der Aufklärung unaufgeklärte Sichtweise – die die allgemeine klinische Erfahrung in der Psychiatrie leugnet bzw. diese außer acht lässt. Und es käme einem Rückfall ins Mittelalter gleich, wenn derartige Sichtweisen Eingang in die Rechtsprechung finden würden bzw. sich neuerdings in der Gerichtsbarkeit etablieren würden wie zu Zeiten der Inquisition üblich waren.

Man sollte also eine psychologische Idee und auch eine psychiatrische Idee, die beide – philosophisch gesprochen – transzendentale Ideen sind – grundsätzlich nicht konstitutiv und somit auch nicht unkritisch verwenden.

Vielmehr sollte man in der Reflexion des Sachverhalts erkennen und berücksichtigen auf welcher Grundlage das psychiatrische Wissen entsteht und besteht.

Abschließend kann man sagen, dass die Vorstellung der „Besessenheit“ und die Behandlung eines psychisch auffälligen Zustandes durch Exorzismus heutzutage nur bei unkritischer Sicht der Dinge zu Stande kommt. Eine Person wird also Handlungen, wie den Exorzismus nur vornehmen, wenn sie selbst noch nicht im Sinn der Aufklärung aufgeklärt ist – sprich, wenn sie noch nicht gelernt hat die Ideen kritisch zu hinterfragen und angemessen zu verwenden.

Bekanntlich hat die unkritische Verwendung der Ideen in Europa, in der Zeit vor der Aufklärung zu den bekannt katastrophalen Folgen geführt (vgl. mit diesem Beitrag).

Und es ist also grundsätzlich problematisch, wenn man die subjektive Sicht der Dinge nicht reflektiert und die subjektive Sichtweise auf eine andere Person projiziert und man sich dabei der Beschränktheit des eigenen, subjektiven Wissens nicht bewusst ist.

Grundsätzlich ist es also problematisch wenn man subjektives Wissen – das beschränktes Wissen ist – mit objektivem Wissen verwechselt.

Anmerkung: dieser Beitrag versteht sich als kritischer Beitrag zum Thema „Exorzismus“ und „Besessenheit“.

Dabei entstand dieser Beitrag nach dem Lesen des Artikels in der Medical Tribune, wie dieser im Anschluss an den Kongress „Religiösität in Psychiatrie und Psychotherapie“ (abgehalten in in Graz, Österreich, im Jahr 2007) im Internet vorerst veröffentlicht worden ist. Derzeit ist dieser Artikel im Internet allerdings nicht mehr auffindbar. Hingegen findet sich dazu (Stand August 2012) ein kritischer Artikel im Spiegel ONLINE.

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(letzte Änderung 24.11.2019, abgelegt unter: Diagnostik, Forensik, Forensische Psychiatrie, Geist, Idee, Psyche, Psychiatrie, psychiatrische Idee, Psychologie, Psychopathologie, Rechtsprechung, Urteil)

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