Eine psychiatrische Idee ist eine Idee durch die eine krankheitswertige psychische Auffälligkeit vom Psychiater/Psychiaterin geistig erfasst wird.
Es ist eine psychiatrische Idee also eine fachliche Idee, durch die ein psychiatrischer Sachverhalt von einer Fachperson in der Psychiatrie geistig aufgefasst wird.
In der psychiatrischen Diagnostik wird durch eine psychiatrische Idee entweder ein einzelnes psychopathologisches Phänomen erfasst oder der ganze psychische Symptomenkomplex der psychischen Störung durch die psychiatrische Diagnose. (vgl. mit Kant Zitat 7)
Oder in gewissen Fällen wird durch die psychiatrische Idee – etwa durch eine psychiatrische Theorie – eine ganze psychiatrische Geschichte (das momentane klinische Erscheinungsbild und der Verlauf) aufgefasst, wie dies etwa bei einer psychischen Störung der Fall ist, bei der unter verschiedenen Aspekten mehrere Zusammenhänge der psychischen Erscheinungen und damit mehrere psychiatrische Diagnosen, somit also eine, oder mehrere Komorbiditäten der Psyche erfasst werden, oder bei der mehrere Zusammenhänge unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden, wie dies z.B. generell in der Psychotherapie gemacht werden sollte, oder wie dies etwa im Fall einer psychischen Störung geschieht, bei der einerseits psychologische Zusammenhänge von Bedeutung sind, und bei der andererseits auch biologische Zusammenhänge von Bedeutung sind und damit zum Beispiel eine biologische Theorie zur Anwendung kommt, durch die man den Zusammenhang der psychischen Erscheinungen auch auf Grundlage der Biologie/Neurobiologie des Nervensystems verstehen und erklären kann.
Oder, es wird mit der Hilfe einer psychiatrischen Idee ein ganzer psychiatrischer Sachverhalt im Hinblick auf eine gewisse Fragestellung erfasst, wie dies etwa bei der Erstattung eines psychiatrischen Gutachtens in der Forensischen Psychiatrie der Fall ist, wo es z.B. um die Frage der Geschäftsfähigkeit, oder um die Frage der Prozessfähigkeit, oder um die Frage der Testierfähigkeit, oder um die Frage der Schuldfähigkeit, oder um die Frage der Arbeitsunfähigkeit bzw. die der Berufsunfähigkeit im Hinblick auf das Vorliegen einer psychischen Störung oder um eine sonstige Frage geht.
Durch eine psychiatrische Idee werden also psychische Phänomene bzw. psychopathologische Phänomene durch den Bezug auf diese Idee geistig aufgefasst (vgl. mit Kant Zitat 7) und es wird auch der Verlauf bzw. die Entwicklung der psychischen Phänomene im Lauf der Zeit berücksichtigt. Oder, es wird bei einer psychiatrischen Idee, die sich z.B. auf eine biologische Theorie gründet, der Zusammenhang zwischen biologischen Faktoren und den psychischen Phänomenen betrachtet und dieser unter dieser Idee/Theorie geistig erfasst.
Durch eine psychiatrische Idee kann man, je nachdem den Zusammenhang der Erscheinungen und der Dinge gemäß dem Sinn dieser Idee auffassen, erkennen, verstehen und unter Umständen damit auch erklären.
Dabei ist jeweils der Begriff der Idee die systematische Einheit der Idee, die im Bewusstsein der erkennenden Person als Gegenstand in der Idee erscheint, falls diese Person die Merkmale der Idee vermittelt durch das Schema der Idee geistig auffasst (vgl. mit Kant Zitat 7).
Wie man sich überzeugt ist der Begriff der psychiatrischen Idee ein regulativer Begriff (vgl. mit Kant Zitat 4).
Und man erkennt durch Anwendung der Philosophie von Immanuel Kant, dass eine psychiatrische Idee – so wie eine psychologische Idee eine bloße Idee im Sinne von Immanuel Kant ist.
Eine psychiatrische Idee wird also durch psychopathologische Phänomene charakterisiert und es ist diese Idee durch psychopathologische Phänomene definiert falls es sich dabei um eine psychiatrisch diagnostische Idee handelt.
Durch den Bezug auf die psychiatrische Kategorie (der psychiatrischen Klassifikation), die die Merkmale der psychiatrisch-diagnostischen Idee aufzeigt, kann die psychische Störung in der psychiatrischen Diagnostik erkannt und dadurch die psychiatrische Diagnose bestimmt werden, falls die psychischen Auffälligkeiten und damit die Merkmale der psychischen Störung vermittelt durch das Schema der Idee in Bezug auf den definierten Typus erfasst werden (vgl. mit Jaspers Zitat) bzw. der Sachverhalt durch die systematische Einheit der Idee in der psychiatrischen Diagnostik bestimmt werden kann (vgl. mit Kant Zitat 7)
Es handelt sich also bei einer psychiatrischen Idee im Grunde genommen also um eine psychologische Idee, die sich auf abnorme bzw. krankheitswertige psychische Phänomene bezieht.
Karl Jaspers hat erkannt, dass es sich bei den Ideen in der Psychiatrie um kantische Ideen handelt (vgl. mit Jaspers Zitat 6 – Anmerkung: wenn gleich Jaspers den Begriff bloße Idee in seinem Buch „Allgemeine Psychopathologie“ nicht verwendet).
Es ist eine psychiatrische Idee – also so wie eine psychologische Idee – eine bloße Idee im Sinne von Immanuel Kant (vgl. mit Kant Zitat 4).
Erkenntnistheoretisch bzw. philosophisch betrachtet ist der Begriff der psychiatrischen Idee die systematische Einheit der Idee, die (vermittelt) durch das Schema der Idee (vgl. mit Kant Zitat 7) (in der Diagnostik) erfasst wird. Weil eine solche Einheit sich auf eine bloße Idee (vgl. mit Kant Zitat 4) gründet, ist der Begriff einer psychiatrischen Idee ein regulativer Begriff (vgl. mit Kant Zitat 4) im Sinne von Immanuel Kant. Man kann auch sagen: der Begriff der psychiatrischen Idee bezieht sich auf ein transzendentes Erkenntnisobjekt und es ist dies somit eine transzendentale Einheit. Ebenso kann man sagen: der Begriff einer psychiatrischen Idee ist eine virtuelle Einheit.
Oder man kann auch sagen:
Der Begriff einer psychiatrische Idee ist eine projektierte Einheit (vgl. mit Kant Zitat 5).
Oder man kann auch sagen: der Begriff einer psychiatrischen Idee ist ein psychiatrisches Konzept, weil eine solche Einheit auf einen psychischen Sachverhalt projiziert wird, damit man nach Möglichkeit die psychische Auffälligkeit unter dieser Idee bzw. unter dem Begriff dieser Idee, der eine systematischen Einheit ist, auffassen kann. (vgl. mit Kant Zitat 7)
Eine psychiatrische Idee ist – was die Grundlage des Wissens anlangt – eine Sonderform einer psychologischen Idee, insofern durch eine psychiatrische Idee abnorme bzw. krankheitswertige psychische Phänomene von einer Fachperson in der Psychiatrie als Wissenschaft erfasst werden, wohingegen in der Psychologie ein Psychologe / eine Psychologin als Fachperson einen psychischen Sachverhalt psychologisch, in Sinn der Wissenschaft der Psychologie erfasst.
Die psychiatrischen Ideen sind auf der Grundlage der klinischen Erfahrung in der Psychiatrie entstanden. Dies ist z.B. aus dem Bleuler Zitat erkennbar.
Man kann daher auch sagen: die psychiatrische Idee entsteht im Bewusstsein eines Psychiaters als das Produkt seiner geistigen Auffassung und seines Denkens unter Führung von Ideen in Bezug auf definierte Typen durch die Schemata der Ideen (vgl. mit Jaspers Zitat), falls dies Fachperson gewisse psychische Auffälligkeiten durch den Bezug auf diese Idee auffasst (vgl. mit Kant Zitat 7).
Oder man kann auch sagen:
Eine psychiatrische Idee entsteht im Bewusstsein der Fachperson, falls diese die psychopathologischen Phänomene durch den Bezug auf diese Idee, bzw. durch das Schema der Idee auffasst (vgl. mit Kant Zitat 7).
Ebenso kann man sagen:
Eine psychiatrische Idee in Bezug auf eine psychiatrische Diagnose entsteht im Bewusstsein der Fachperson, falls diese die einzelnen psychopathologischen Phänomene durch die psychiatrische Kategorie (der angewandten psychiatrischen Klassifikation: etwa durch die psychiatrische ICD-10 Klassifikation oder durch die DSM-V Klassifikation) auffassen kann.
Karl Jaspers spricht daher von der denkenden Anschauung (in der Psychiatrie – und es gilt dies auch für die Psychologie und Psychotherapie) durch die wir als Fachleute kraft dieser methodischen Hilfsmittel psychische Sachverhalte (vgl. mit Jaspers Zitat) unter den verschiedensten Gesichtspunkten auffassen, verstehen und erklären können. (vgl. mit Jaspers Zitat 11)
Man kann auch sagen: eine psychiatrische Idee entsteht als Folge des angewandten Gesichtspunkts im Bewusstsein der erkennenden Fachperson wenn ein gewisser psychischer Symptomenkomplex von dieser erkannt wird. (vgl. mit Kant Zitat 7). (Weiteres dazu auf Poster 4: EMPIRICISM IN PSYCHIATRY VERSUS EMPIRICISM IN MEDICINE – IN THE LIGHT OF THE PHILOSOPHIES OF JOHN LOCKE, DAVID HUME AND IMMANUEL KANT)
Man versteht unter einer psychiatrischen Idee also das, was man unter dem Begriff dieser Idee auffasst bzw. denkt.
Dabei zeigt das Schema der Idee die typischen Merkmale dieser diagnostischen Einheit.
In diesem Sinn ist der Begriff der psychiatrische Diagnose eine Einheit deren charakteristische Merkmale durch das Schema der Idee repräsentiert werden.
Wie Karl Jaspers schreibt, sind solche Schemata entworfene Typen oder methodische Hilfsmittel (vgl. mit Jaspers Zitat).
So ist z.B. das psychiatrische Konzept der diagnostischen Einheit Schizophrenie, wie es von Eugen Bleuler beschrieben und damit definiert worden ist, das ideal-typische Konzept für diese Form einer psychischen Störung, die wir als Schizophrenie bezeichnen.
In gleicher Weise sind die einzelnen Begriffe und damit auch die einzelnen Kategorien, unter denen die unterschiedlichen Formen einer Schizophrenie aufgefasst werden, die ideal typischen Formen/Erstbegriffe/Grundbegriffe dieser psychischen Krankheiten (vgl. mit dem Griesinger Zitat).
Beim psychiatrischen Diagnostizieren erfassen wir also die klinischen Bilder bzw. die einzelnen psychischen Symptome und psychischen Phänomene durch derartige Schemata, in dem wir auf der Ebene unserer Vorstellungen bzw. auf der Ebene unserer Ideen die unterschiedlichen durch das Ponderieren der Ideen die Ideen miteinander vergleichen, um den passenden Typus der diagnostischen Einheit zu erkennen.
Konkret finden wir also in einem Fall, dass z.B. die Kriterien, wie sie in der Kategorie ICD-10 F20.0 definiert sind, hinreichend erfüllt werden – oder sie nicht hinreichend erfüllt werden (vgl. mit Kant Zitat 10). Je nach dem wird die psychiatrische Diagnose gestellt, oder wir sagen: es besteht keine solche psychische Störung.
Es wird damit deutlich, dass psychiatrisches Wissen relatives Wissen ist das in Bezug auf definierte Ideen erlangt wird.
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Eine psychiatrisch-diagnostische Idee wird also mit Hilfe eines psychiatrischen Konzepts erkannt, oder man kann auch sagen: wir denken eine psychiatrische Diagnose unter dem Begriff dieser Idee.
Auf diese Art und Weise fassen wir in der Psychiatrie (Psychologie, Psychotherapie) die klinischen Erscheinungen in Bezug auf definierte Typen bzw. in Bezug auf definierte Ideen (Konzepte) auf. Damit können wir die klinischen Erscheinungsbilder der psychischen Störungen in der Psychiatrie auf die verschiedensten Arten und Weisen auffassen, untersuchen und in der psychiatrischen Wissenschaft systematisch studieren (vgl. mit Jaspers Zitat).
Es gibt in der Psychiatrie – so wie in der Psychologie – relativ einfache und relativ komplexe Ideen.
Ein einzelnes psychopathologisches Phänomen entspricht einer relativ einfachen psychiatrischen Idee.
Die Idee, durch die der psychische Symptomenkomplex der psychischen Störung erfasst wird, ist im Vergleich dazu eine relativ komplexe psychiatrische Idee.
Dies zeigt sich z.B. auch in den psychiatrischen Kategorien der ICD-10 Klassifikation und in den der DSM-V Klassifikation.
Schließlich sind z.B. die psychiatrischen Theorien, die aus einfachen psychiatrischen Ideen gebildet werden noch komplexere psychiatrische Ideen (z.B. das psychiatrische Konzept der Affektlogik des Schweizer Psychiaters Luc Ciompi).
Bei einem konkreten Fall in der Psychiatrie bilden wir anhand der Geschichte (Anamnese) und eventuell auch unter Berücksichtigung der Fremdananmnese, als Psychiater eine individuelle bzw. spezielle Theorie durch die wir den Zusammenhang psychisch/psychologisch/psychopathologisch – so weit als möglich – verstehen. Dabei macht man allerdings die Erfahrung, dass gewisse Dinge in der Psychiatrie nicht verstehbar sind, sondern diese nur erklärt werden können. Dies ist konkret bei den psychischen Störungen der Fall, die man als Psychosen bezeichnet und die man durch eine biologische Ursache erklärt. In diesem Sinn ist auch der Oberbegriff Psychose, der für die verschiedenen einzelnen Formen einer Psychose steht, eine psychiatrische Idee bzw. der Begriff dieser Idee ist ein regulativer Begriff, durch den die nicht-psychosewertigen psychischen Störungen von den psychosewertigen psychischen Störungen unterschieden werden.
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Bildet man eine Hierarchie der psychiatrischen Ideen nach dem Grad ihrer Komplexizität, so kann man in der Psychiatrie folgende Hierarchie der psychiatrischen Ideen angeben:
* psychische Phänomene, psychische Symptome (psychopathologische Phänomene).
* psychiatrische Diagnosen, die sich auf psychopathologische Phänomene bzw. psychische Symptome gründen.
* psychiatrische Theorien, die sich auf psychologische Phänomene und auf psychiatrische Diagnosen gründen.
Bei all diesen psychiatrischen Ideen handelt es sich um bloße Ideen im Sinne von Immanuel Kant. Man kann keine einzige dieser Ideen „physisch“ direkt im konkreten Fall überprüfen bzw. validieren, weil sie sich auf psychische Phänomene gründen, die in der Form der Begriffe dieser Ideen im Bewusstsein der erkennenden Person als systematische Einheiten erscheinen. Eine solche Überprüfung ist nicht möglich, weil diese Begriffe bzw. diese Ideen keinen direkten Bezug zu einem körperlichen Objekt haben und daher nicht auf dieser Grundlage bestimmt werden können. (vgl. mit Kant Zitat 7)
Aus dieser Tatsache kann man den philosophischen Beweis ableiten warum die Objektivierung eines psychischen Phänomens nicht möglich ist (Weiteres dazu auf Poster 6: Diagnosis in Psychiatry – the Role of Biological Markers – an investigation in the light of Immanuel Kant`s philosophy, der am DGPPN Kongress im November 2010 in Berlin vorgestellt worden ist.)*
Die Tatsache, dass psychiatrische Ideen nicht physisch bestimmt werden können bzw. solche Ideen nur relatives Wissen darstellen und kein absolutes Wissen, ist von fundamentaler Bedeutung und es sollte dies in der psychiatrischen Praxis und in der psychiatrischen Wissenschaft berücksichtigt werden.
Daher sollte man psychiatrische Ideen – so wie psychologische Ideen (vgl. mit Kant Zitat 4) und überhaupt Ideen, die man nicht auf der Ebene der Objekte überprüfen kann – nur relativistisch (und nicht konstitutiv) verwenden. (vgl. mit Kant Zitat 3a)
Weil man sonst leicht die Grenzen und Möglichkeiten des erlangten Wissens überschätzt. (vgl. mit Kant Zitat 2 und Kant Zitat 3)
Über psychologische Ideen schreibt Immanuel Kant folgendes:
“Aus einer solchen psychologischen Idee kann nun nichts anderes als Vorteil entspringen, wenn man sich nur hütet, sie für etwas mehr als bloße Idee, d.i. bloß relativistisch auf den systematischen Vernunftgebrauch in Ansehung der Erscheinungen unserer Seele, gelten zu lassen.“ (vgl. mit Kant Zitat 4)
Dies gilt auch für psychiatrische Ideen.
Tatsächlich sind psychologische und psychiatrische Ideen sehr nützlich nur sollte man – so wie dies Immanuel Kant schreibt sie nur relativistisch verwenden. Gerade das wird allerdings heutzutage in der psychologischen und psychiatrischen Praxis und auch in der psychiatrischen Wissenschaft vielfach nicht beachtet und nicht gemacht.
Daher geraten daher Psychologen und Psychiater und psychiatrische Forscher in der psychiatrischen Wissenschaft vielfach in (vermeidbare) Widersprüche (Antinomien). (vgl. mit Kant Zitat 3 und Jaspers Zitat)
Nachfolgend ein paar Beispiele für psychiatrische Ideen:
depressiv
ängstlich
psychotisch
neurotisch
Persönlichkeitsstörung
Depression
usf.
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Weiteres* dazu auch in meinem Buch:
Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin
erschienen im April 2019 im Verlag tredition
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(letzte Änderung 28.11.2020, abgelegt unter: Idee, Definition, Psyche, Psychiatrie, psychiatrische Idee)
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