Erfahrungsurteil

Ein Erfahrungsurteil im Sinne von Immanuel Kant ist ein empirisches Urteil das sich auf objektives Wissen gründet (vgl. mit Kant Zitat 6).

Demgemäß ist das Erfahrungsurteil objektiv gültig, weil es sich auf die objektive Wirklichkeit gründet.

Für das Zutreffen des Erfahrungsurteils gibt es einen allgemein gültigen Beweis.

Man kann auch sagen: das Zutreffen des Erfahrungsurteils kann in der Wirklichkeit – durch die Demonstration bewiesen werden, weil sich das Urteil auf ein Objekt, auf Fakten oder  auf eine Tatsache gründet.

Im Gegensatz dazu gründet sich ein Wahrnehmungsurteil im Sinne von Immanuel Kant auf die subjektive Wahrnehmung und die subjektive Beurteilung der Person.

Demgemäß ist ein Erfahrungsurteil ein Urteil das auf der Grundlage eines real gegebenen Erkenntnisobjekts erlangt wird – man kann in den Worten von Immanuel Kant auch sagen: das sich auf einen Gegenstand schlechthin gründet (vgl. Kant Zitat 7) und das sich damit auf einen  Sachverhalt bezieht bei dem durch die Demonstration der allgemein gültige Beweis möglich ist (vgl. mit Kant Zitat 9).

Ich kann auch sagen: ein Erfahrungsurteil bezieht sich auf eine faktische Einheit.

Oder ich kann sagen: Ein Erfahrungsurteil beruht auf objektiver Evidenz.

Man kann auch sagen: ein Erfahrungsurteil gründet sich auf ein Erkenntnisobjekt das durch objektive Befunde bestimmt werden kann und dessen Zutreffen durch einen demonstrierbaren Beweis nachgewiesen werden kann.

Daher ist ein solches Urteil nicht vom Subjekt abhängig, weil die Erkenntnis nur durch das Erkenntnisobjekt bzw. nur durch das Objekt bestimmt ist (vgl. mit Kant Zitat 9). In einem solchen Fall hängt das Urteil also nicht von Faktoren ab, die durch das Subjekt bzw. durch den individuellen Wahrnehmungsprozess und/oder den mentalen Prozess des Subjekts bedingt sind, wie dies beim Wahrnehmungsurteil der Fall ist.

Eine solche Erfahrung wie sie bei einem Erfahrungsurteil gemacht wird bezieht sich also auf einen Erkenntnisgegenstand, der uns als Gegenstand schlechthin im Sinne von Immanuel Kant als Tatsache und damit als Faktum gegeben ist (vgl. Kant Zitat 7).

Bei einem Erfahrungsurteil gründet sich die Entscheidung auf ein objektiv gültig bestimmbares Urteil bzw. ein objektiv gültig bestimmbares Erkenntnisobjekt. Man kann auch sagen, dass in diesem Fall die Erkenntnis auf einer allgemein gültigen Analyse beruht, die nur durch ein Objekt bestimmt ist. Somit handelt es sich in diesem Fall bei der Analyse um ein allgemein gültiges analytisches Urteil und nicht um ein synthetisches Urteil das durch das Subjekt mitbestimmt ist.

Man kann auch sagen: weil in diesem Fall die Analyse bzw. das analytische Urteil sich auf ein demonstrierbares Erkenntnisobjekt bezieht und die entscheidenden Kriterien im Objekt gelegen sind, ist ein solches Urteil objektiv gültig, weil in diesem Fall alle Urteile untereinander übereinstimmen (vgl. mit Kant Zitat 9). Das heißt die befassten Personen gelangen daher zur selben Erkenntnis – weil die entscheidenden Kriterien durch das Erkenntnisobjekt bestimmt sind, womit die Erkenntnis bzw. das Urteil allgemein gültig ist. In einem solchen Fall ist ein allgemein gültiger Beweis möglich und es handelt sich dabei um augenscheinliche Evidenz bzw. um objektive Evidenz.

Erfahrungsurteile in verschiedenen Bereichen des Wissens:

In der Medizin bezieht sich ein empirisches Urteil vielfach auf ein Erkenntnisobjekt, das objektiv gültig erkannt werden kann, etwa auf einen objektiven Befund, also ein Organ, ein Röntgenbild, einen Laborbefund, einen bildgebenden Befund oder sonst einen objektiv bestimmbaren Parameter.

Ein solcher Befund kann durch ein Erfahrungsurteil objektiv gültig und damit allgemein gültig erkannt und bestimmt werden und es kann daher in einem solchen Fall die medizinische Diagnose allgemein gültig bestimmt werden.

Dies gilt etwa für eine objektivierbare medizinische Verdachtsdiagnose, so z.B. für einen tatsächlich aufgetretenen Knochenbruch oder für einen tatsächlich eingetretenen Herzinfarkt usf. Eine solche medizinische Diagnose kann objektiviert werden. Das heißt es kann die Verdachtsdiagnose und damit unter Umständen eine Differenzialdiagnose auf einen Gegenstand schlechthin (vgl. mit Kant Zitat 7) zurückgeführt und auf dieser Grundlage allgemein gültig bestimmt werden.

Vielfach ist in der Medizin ein Erkenntnisobjekt allerdings nicht objektivierbar. Das heißt es kann in einem solchen Fall das Erkenntnisobjekt nicht auf einen objektiven Befund zurückgeführt und auf dieser Grundlage bestimmt werden, sondern es handelt sich z.B. um eine Empfindung, etwa um einen Schmerz oder Schwindel, der bewusstseinmäßig wahrgenommen wird. Das heißt eine solche Empfindung wird bewusstseinsmäßig wahrgenommen und es handelt sich dann um eine Einheit, die uns nur auf der Ebene der Ideen als Gegenstand in der Idee gegeben ist. In diesem Fall kann das Erkenntnisobjekt nur durch den Begriff der Idee erkannt werden, der eine systematische Einheit ist (vgl. mit Kant Zitat 7).

Und man erkennt damit dass ein solches Erkenntnisobjekt in der Medizin nur durch ein Wahrnehmungsurteil erkannt werden kann.

Erfahrungsurteile in der Psychiatrie

In der Psychiatrie kann fast nichts durch ein Erfahrungsurteil erkannt werden (außer z.B. der Nachweis des Blutalkohols bei einem Rausch, falls die Person tatsächlich Alkohol getrunken hat). Es handelt sich in der Psychiatrie also fast immer um Wahrnehmungsurteile, weil psychische Erscheinungen und damit die psychischen Symptome und die psychischen Phänomene bzw. die psychopathologischen Phänomene und somit auch die psychischen Symptomenkomplexe der psychischen Störungen und damit die psychiatrischen Diagnosen nur durch die Begriffe der Ideen erkannt werden können (vgl. mit Kant Zitat 7).

Gleichartiges gilt auch für die Psychosomatik, die Psychologie und die Psychotherapie, weil auch hier die psychischen Erscheinungen nur auf der Ebene der Ideen durch die Begriffe der jeweiligen Ideen erkannt werden können.

Erfahrungsurteile in der Rechtsprechung

In der Rechtsprechung handelt es sich zum Teil ebenfalls um Erfahrungsurteile auf denen die richterliche Entscheidung aufgebaut werden kann. Allerdings kann sehr oft bei Gericht ein Richter nur auf der Ebene seiner Vorstellungen abwägen und entscheiden was zutreffend ist, und handelt es sich sodann um ein Wahrnehmungsurteil. Analoges gilt auch für das Gutachterwesen, wenn ein Sachverständiger sein Gutachten erstattet.

Erfahrungsurteile in anderen Bereichen

Es liegt auf der Hand dass in der Mathematik, in der darstellenden Geometrie, in den Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biochemie usf., in der Zoologie, in der Botanik und in sonstigen Wissenschaften) und in der Technik viele Urteile Erfahrungsurteile sind.

Andererseits sind viele Urteile und damit viele Entscheidungen in diversen Bereichen nur auf der Ebene Ideen möglich, ohne, dass das jeweilige Urteil auf der Ebene der Objekte überprüft werden kann. Es kann in einem solchen Fall das Urteil also nicht am Probierstein der Erfahrung überprüft werden (vgl. mit Kant Zitat 10) und es handelt sich dann um ein Wahrnehmungsurteil im Sinne von Immanuel Kant.

Dies trifft zum Beispiel für viele Entscheidungen im Alltag, in der Philosophie, in der Politik, in der Ökonomie, in Bezug auf die Geschichte und ihre Interpretation zu usf.

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Weiteres zur dieser Thematik, insbesondere im Hinblick auf empirische Urteile in der Forensischen Psychiatrie und Rechtsprechung in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im April 2019 im Verlag tredition

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(letzte Änderung 25.12.2020, abgelegt unter: Definition, Erkennen, Erkenntnis, Evidenz, Medizin, Philosophie, Psychiatrie, Rechtsprechung, Urteil)

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