Konsequenzen – für die Psychiatrie, 5. Teil – Methodenbewusstheit

In den Beiträgen Konsequenzen werden in Bezug auf die Philosophie von Immanuel Kant verschiedene Aspekte diskutiert, wie sie sich aus der Erkenntnisbasis ergeben.

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Man sollte in der Psychiatrie beachten und sich dessen bewusst sein, ob man einen Sachverhalt auf psychologischer Ebene betrachtet und diskutiert, oder auf biologischer Ebene, weil die beiden Ebenen mit unterschiedlichen Methoden untersucht werden.

Die biologische Sichtweise betrachtet die Vorgänge und die Zusammenhänge auf biologischer Ebene – also auf der Ebene der neuronalen Vorgänge, auf der Ebene der biochemischen Vorgänge, auf der Ebene der neuronalen Netzwerke usf. und untersucht hier die Zusammenhänge mit den psychischen Erscheinungen also den psychischen Phänomenen bzw. den psychopathologischen Phänomenen.

Die psychologische Sichtweise hingegen betrachtet die Vorgänge und Zusammenhänge zwischen den psychischen Erscheinungen auf psychologischer Ebene – also auf der Ebene der psychischen Erscheinungen somit auf der Ebene der psychischen Phänomene.

Man sollte also unterscheiden welche Sichtweise man anwendet.

Biologische Vorgänge und damit auch neuronale Vorgänge basieren auf körperlichen Parametern, also auf physischen Grundlagen. Im Gegensatz dazu basiert das, was wir als Psyche beschreiben auf psychischen Phänomenen und es werden psychische Phänomene auf der Grundlage von Ideen, nämlich auf der Grundlage von psychologischen Ideen bzw. auf der Grundlage von psychiatrischen Ideen – die philosophisch betrachtet sämtliche bloße Idee sind – bzw. auf der Grundlage der Begriffe dieser Ideen – die regulative Begriffe sind – erkannt. (vgl. mit Kant Zitat 7)

Weil psychische Phänomene auf der Grundlage von Ideen erkannt werden, sind die psychiatrischen Kategorien  mentale Kategorien und man findet daher etwa in den Kategorien der Psychiatrischen  ICD-10 Klassifikation nur psychologische Begriffe bzw. psychiatrische Begriffe und keine Begriffe von physischen Parametern.

Wie im Beitrag psychiatrische Diagnose aufgezeigt wird, gründet sich die Diagnostik der psychischen Erscheinungen und damit auch die Diagnostik der psychischen Störungen auf psychische Phänomene bzw. auf psychopathologische Phänomene. Das heißt die Psychiatrische Diagnostik der psychischen Störungen gründet sich auf der Diagnostik der Begriffe der psychopathologischen Phänomene (gr. phenomenon = ein sich Zeigendes, ein Erscheinendes).

Psychische Störungen werden diagnostisch also festgestellt, wenn der Untersucher im Laufe des Untersuchungsganges zu den Begriffen von gewissen psychopathologischen Phänomenen gelangt – das heißt, wenn die entsprechenden Begriffe im Rahmen der psychiatrischen Untersuchung – somit bei der Erhebung des psychischen Befundes bzw. des psychiatrischen Befundes in seinem Bewusstsein erscheinen (vgl. mit Kant Zitat 7).

An dieser Stelle sei festgehalten, dass alle psychischen Funktionen – die normalen ebenso wie die abnormalen – infolge der Aktivität der Nervenzellen enstehen. Es beruht die neuronale Funktion also auf der Biologie der Nervenzellen. Die Diagnostik der psychischen Erscheinungen beruht jedoch auf Ideen und nicht auf biologischen Phänomenen.

Dabei ist es allerdings so, dass eine psychische Störung nicht unbedingt mit einer biologischen Störung des Gehirns korrelieren muss. (Anmerkung: Warum sollte z.B. eine Kritikstörung, oder eine Assoziationsstörung, oder eine Gedächtnisstörung in jedem Fall mit einer biologischen Störung einhergehen? Es ist dies zwar häufig der Fall. Es kann jedoch auch sein, dass die Biologie an sich intakt ist und dass eine psychische Störung als Folge einer fehlerhaften, – irrtümlichen – „Datenverarbeitung“ in Erscheinung tritt (Es handelt sich dann um ein „software Problem“ und nicht um ein „hardware Problem“. Man könnte in einem solchen Fall von einer „software – bedingten – psychischen Störung“ sprechen, im Gegensatz zu einer „hard-ware-bedingten“ psychischen Störung. So sind z.B. sicherlich alle neurotischen Störungen, wie sie als Folge von psychischen Komplexen erklärt und verstanden werden, oder die psychischen Störungen wie sie im Rahmen von Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert werden, oder wie sie in Folge von sonstigen funktionellen Störungen auftreten, nicht oder nicht nur die Folge einer gestörten biologischen Funktionen und daher auch nicht auf dieser Grundlage zu verstehen und durch eine biologische Theorie zu erklären. (Anmerkung: wenngleich natürlich zu berücksichtigen ist, dass wahrscheinlich gewisse hirnorganische Grundlagen –  also ein gewisser Aufbau des Nervensystems – mehr zu gewissen Reaktionsweisen disponiert als ein anderer). Daher kennt man etwa psychopathologische Phänomene der Depersonalisation, die als Folge einer Neurose erklärt und verstanden werden und andererseits auch psychopathologische Phänomene der Depersonalisation, die als Folge einer Psychose – etwa im Sinn einer Schizophrenie – erklärt und verstanden werden.

Der berühmte Internist und Nervenarzt Wilhelm Griesinger wird oftmals mit der kurzen Aussage zitiert: „Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten“ – diese knappe Aussage ist für die Geisteskrankheiten (Psychosen) im engeren Sinne zweifelsohne zutreffend – daneben war sich Griesinger aber sehr wohl der Tatsache bewusst, dass sämtliche psychischen Krankheiten „dzt. nicht auf der Grundlage der „anatomischen Veränderungen des Gehirns„, sondern nur auf der Grundlage der der „psychischen Anomalie“ diagnostiziert werden können (vgl. mit Griesinger Zitat).

Auf dieser Basis begründete W. Griesinger die 1. psychiatrische Nosologie im Deutschen Sprachraum (Weiteres dazu in diesem Beitrag).

Wilhelm Griesinger hat also erkannt, dass die psychischen Störungen (Krankheiten) „dzt. nicht auf organischer Basis diagnostisch erfasst werden können, sondern nur auf psychologischer bzw. psychopathologischer Basis. Auch war sich Wilhelm Griesinger der Relativität der psychiatrischen Erkenntnisse bewusst, wie dies aus seinen Aussagen erkennbar ist. (vgl. mit Griesinger Zitat letzter Absatz)

Man würde also Griesinger Unrecht tun, wenn man ihm unterstellen würde, dass er gemeint hat, dass alle psychischen Störungen die Folge von biologischen Ursachen sind.

Die psychische Pathologie entsteht also nicht unbedingt auf der Grundlage einer biologischen Pathologie. Es kann eine biologische Pathologie bzw. eine biologische Ursache zu einer psychischen Störung führen – es kann jedoch auch eine andere Ursache zur psychischen Störung führen.

Der Parallelismus: gestörte Psyche = biologisch gestörte Gehirnfunktion ist also sicherlich falsch und es ist vielmehr eine differenzierte Sichtweise erfordert, die in gewissen Fällen von einer gestörten Biologie – z.B. bei einer Intoxikation – ausgeht, in anderen Fällen ist jedoch nicht die gestörte Biologie die Ursache der psychischen Störung ist, sondern es können auch andere Faktoren diese komplexe Ursache bilden.

(Anmerkung: Die klinische Erfahrung legt es nahe, dass gewisse psychische Störungen auf der Grundlage von biologischen Störungen auftreten und es macht daher Sinn bei gewissen psychischen Störungen nach biologischen Faktoren zu suchen und zu forschen, die diese begünstigen. Siehe dazu auch den Beitrag über die Schichtenregel von Karl Jaspers.

Grundsätzlich sollten die beiden Methoden, die biologische Sichtweise und die psychologische Sichtweise – jedoch nicht „gemischt“, sondern methodisch getrennt also neben einander bestehende Methoden gesehen, beachtet und in der Diskussion berücksichtigt werden.

Auf diese methodische Trennung bzw. die Andersartigkeit der Methoden hat schon Immanuel Kant vor mehr als 200 Jahren hingewiesen (vgl. Kant Zitat 4), wenn er über psychologische Ideen schreibt …. dass man diese bloßen Ideen …..  bloß relativistisch …. verwenden werden sollte, weil sich dann ….“keine Gesetze körperlicher Erscheinungen einmengen, die von ganz anderer Art sind als das was bloß für den inneren Sinn gehöret.“ (vgl. Kant Zitat 4).

Diese Methodenbewusstheit hat auch der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers in seinem Buch „Allgemeine Psychopathologie“ immer wieder gefordert.

Gerade diese Unterscheidung wird aber in der Psychiatrie der Gegenwart (Stand 2016) vielfach nicht gemacht und nicht beachtet.

In der psychiatrisch – wissenschaftlichen Forschung und Diskussion der Gegenwart wird an vielen Orten „Psychisches“ mit „Körperlichem“ unkritisch in eine Relation gesetzt, als ob es sich um gleichartige Dinge handelt bzw. die Relation zwischen den beiden Ebenen – den psychischen Erscheinungen und den körperlichen Fakten – bekannt ist.

Tatsächlich ist aber die Relation zwischen den körperlichen Objekten bzw. zwischen den körperlichen Vorgängen und den psychischen Phänomenen nicht bekannt, weil ein psychisches Phänomen ein ganz anderes Erkenntnisobjekt als ein körperliches Objekt bzw. ein körperlicher Vorgang (vgl. mit Kant Zitat 7) ist. Es gibt zwar die Relation zwischen den beiden, aber die Verhältnismäßigkeit bzw. die Korrelation ist nicht bekannt.

Dieser Unterschied in der Erkenntnisbasis sollte in der Psychiatrie beachtet und berücksichtigt werden.

Man kann nämlich aufzeigen, dass es zwischen einem psychischen Phänomen und dem körperlichen Substrat auf dessen Grundlage es entsteht, es keine bestimmte und damit keine allgemein gültig bestimmbare Korrelation gibt. (Weiteres dazu auf Poster 6: Diagnosis in Psychiatry – the Role of Biological Markers – an investigation in the light of Immanuel Kant`s philosophy)

Man sollte sich also im Rahmen der biologischen Betrachtungsweise in der Psychiatrie – und daher auch in der Biologischen Psychiatrie –  sich des geisteswissenschaftlichen Fundaments der psychiatrischen Einheiten und damit des andersartigen Wesens der Psychiatrie bewusst sein.

Mit anderen Worten: man sollte sich in der Psychiatrie dessen bewusst sein, auf welcher Grundlage das psychiatrische Wissen entsteht.

Wird die Erkenntnisbasis in der Psychiatrie (Psychologie) – und daher die unterschiedlichen Methoden – nicht berücksichtigt und berücksichtigt, so mündet dies in diverse Probleme. Weiteres dazu in den einzelnen Beiträgen, wie sie über die Links in den einzelnen Beiträgen: Konsequenzen erreichbar sind.

Abschließend kann man also festhalten, dass die Methodenbewusstheit, wie sie Karl Jaspers wiederholt gefordert hat für die Psychiatrie von großer Bedeutung ist, weil aus dem Unterschied in der Erkenntnisbasis und im Wissen weitreichende Konsequenzen für die psychiatrische Praxis und für die psychiatrische Wissenschaft resultieren.

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(letztes Änderung 25.12.2016, abgelegt unter Konsequenzen, Medizinische Diagnostik, Erkenntnisbasis, Methode, Psychiatrie, Psychologie,

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