Eine Anektode zum Thema: Emotionale Entladung und Verstehen

Als ich noch Student an der Universität in Innsbruck war – es dürfte ca. 1976 oder 1977 gewesen sein – war einmal der damals bereits berühmte Prof. Viktor Frankl auf der Durchreise und hielt an einem Abend einen Vortrag vor Innsbrucker Studenten im Hörsaal der Medizinischen Chemie.

Viktor Frankl erzählte damals wie er kurz vor dem 2. Weltkrieg als junger Arzt auf der Flucht vor dem NS-Regime nach Bronx (N.Y., USA) gekommen war und noch relativ schlecht Englisch konnte. Er habe damals eine Anstellung in einer psychiatrischen Abteilung eines Spitals in Bronx gefunden. Er sei sogleich in der Patientenaufnahme eingeteilt worden und es habe sich ergeben, dass er alsbald das Aufnahmegespräch mit einer dunkelhäutigen New Yorkerin führen sollte und dass diese in hoher emotionaler Erregtheit, in einem für ihn praktisch gänzlich unverständlichen Slang (Dialekt) ihr Leid klagte. Obwohl er praktisch nichts oder fast nichts verstehen konnte habe er ihr geduldig zugehört, bis sie irgend wann sich zu beruhigen begann und mit ihren Ausführungen zu einem Ende kam – und es sei die Sache dann – was seinen Anteil an der Patientenaufnahme betraf – erledigt gewesen. Die Patientin sei in weiterer Folge auf eine Abteilung gebracht worden und er hätte sie in weiterer Folge vorerst nicht mehr gesehen. Vielleicht ein oder zwei Wochen später habe er sie jedoch zufällig am Korridor – kurz vor ihrer Entlassung – wieder getroffen und sei sie ihm „um den Hals gefallen“ – und habe sie sich bei ihm unter Tränen bedankt, dass noch nie in Ihrem Leben jemand sie so verstanden habe wie er – was für sie offenbar eine große Hilfe war.

Viktor Frankl wollte damit uns Innsbrucker Studenten klar machen, dass der „Punkt“ nicht der ist, ob der Zuhörer den Patienten tatsächlich versteht – sondern, dass der Mensch und damit der Patient sich verstanden fühlt – was offensichtlich im vorgenannten Aufnahmegespräch der Fall war – wobei – wie gesagt – Viktor Frankl die Frau in Folge seiner damals noch mangelhaften Sprachkenntnisse tatsächlich kaum verstanden hat.

(Vergleiche dazu auch die Ausführungen zum Thema: Wut und Empörung- Verstehen in Bezug auf den Abbau von emotionaler Spannung durch das Gespräch bzw. durch das verständnisvolle Zuhören, wie es etwa in der Psychotherapie oder auch in einer Balint Gruppe geschieht.)

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(letzte Änderung 7.10.2016, abgelegt unter Verstehen, Psyche, Psychotherapie)

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