Pinel Zitat 2- empirisches Studium der psychischen Krankheiten (psychischen Störungen)

Philippe Pinel beginnt den Text des Haupteils seines Buches: PHILOSOPHISCH- MEDICINISCHE ABHANDLUNG ÜBER GEISTESVERIRRUNGEN ODER MANIE im Anschluss an die Einleitung wie folgt:

“ Soll uns der auffallende Fortgang, den der Beobachtungsgeist, die aphoristische Sprache, und die Methode der Classification, der Naturgeschichte verschafft haben, nicht zum Muster und zum Wegweiser in der Arzneywissenschaft dienen? und zeigt nicht jeder zu untersuchende Gegenstand die Nothwendigkeit desselben? Diess ist ein Versuch, den ich selbst gemacht habe, indem ich einmahl die mir anderweits erworbenen Kenntnisse über den Wahnsinn auf die Verrückten in Bicêtre anwenden wollte. Alles stellte mir ein Bild der Verwirrung und des Chaos dar. Dort waren tiefsinnige und stille Wahnsinnige; hier Rasende mit wilden Gebährden und in einem immerwährenden Delirium, bey andern waren alle Kennzeichen einer gesunden Urteilskraft mit vollen Aufwallungen verbunden, wieder anderswo ein Zustand von Nullität, und von stumpfstem Blödsinn zu sehen. Und mussten diese so verschiedenen Symptome, alle unter dem allgemeinen Nahmen Wahnsinn begriffen, nicht mit aller Sorgfalt studiert werden? und erforderten sie nicht eine große Mannigfaltigkeit von Maassregeln, um eine bleibende Ordnung in den Irrenhäusern zu erhalten, und um Arzneymittel und das Verhalten vorzuschreiben? Diese Schwierigkeit wäre um vieles vermindert worden, wenn die beobachteten Fälle hätten stuffenweise nach einer methodischen Ordnung classifiziert werden können; ….“

aus:

PHILOSOPHISCH- MEDICINISCHE ABHANDLUNG ÜBER GEISTESVERIRRUNGEN ODER MANIE

von Philippe Pinel Professor der Medicinal-Schule zu Paris, …

Seite 1-2, aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Mich. Wagner, Wien, bey Carl Schaumburg und Compagnie, 1801

hier der Link zur Kopie der deutschen Übersetzung der Orginalschrift, veröffentlicht unter Google Books

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Titel der französischen Orginal Schrift: Traité medico-philosophique sur l`alienation mentale ou La manie

Hier der Link zu französischen Orginalschrift (2. Aufl. 1809), Anmerkung 1. Aufl. 1801

(französisch: l`aliénation mental = geistige Entfremdung im Sinn der “Geistesverwirrung”)

Hier der Link zur englischen Übersetzung der Orginalschrift (1806)

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Anmerkung zum Zitat

Das Zitat zeigt auf, dass Philippe Pinel erkannte, dass der Wahnsinn durch den Beobachtungsgeist, die aphoristische Sprache und die Methode der Classifikation – so wie in der Naturgeschichte – nach einer Ordnung gegliedert und damit systematisch erfasst werden kann.

Dabei bemerkte Philippe Pinel – nachdem er vor der „Medizin“ „Philosophie“ und „Theologie“ studiert hatte (siehe diesen Wiki Beitrag) – dass der zu untersuchende Gegenstand die Nothwendigkeit und damit die Methode aufzeigt nach der zu verfahren ist.

Wie bekannt ist, hat in diesem Sinn Philippe Pinel bezüglich der unterschiedlichen Formen des Wahnsinns diese auf der Grundlage der unterschiedlichen psychischen Erscheinungen, somit auf der Grundlage der unterschiedlichen  psychische Symptome und psychischen Phänomene charakterisiert und damit erste charakteristische psychische Symptomenkomplexe der unterschiedlichen Formen des Wahnsinns beschrieben.

Man kann daher berechtigt sagen, dass Philippe Pinel diese unterschiedlichen psychischen Krankheiten in unterschiedliche diagnostische Einheiten gegliedert hat. Es schuf Philippe Pinel also die erste phänomenologische Klassifikation und Systematik in Bezug auf den Wahnsinn in der Psychiatrie, wenn gleich der Begriff Psychiatrie und auch der Begriff Psychopathologie damals noch gar nicht existierte.

Diese Grundlage sollte die Basis werden auf der, die ihm nachfolgenden Nervenärzte bzw. Psychiater eine erste psychiatrische Klassifikation bzw. eine erste psychiatrische Nosologie entwickeln konnten, die auf der Grundlage der psychischen Anomalie (vgl. mit dem Griesinger Zitat) aufgebaut ist und die es ermöglicht die unterschiedlichen psychischen Krankheiten bzw. die unterschiedlichen psychischen Störungen systematisch in der psychiatrischen Diagnostik zu erfassen.

Bekanntlich hat in diesem Sinn sein Schüler der Psychiater Jean-Étienne Esquirol eine erste psychiatrische Klassifikation auf der Grundlage der Psychopathologie  bzw. auf der Grundlage der Phänomenologie geschaffen, in der auch andere Formen von psychischen Krankheiten (psychischen Störungen) neben dem Wahnsinn in der psychiatrischen Diagnostik bzw. in der psychiatrischen Nosologie erfasst werden konnten.

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Weiteres zu dieser Thematik in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im April 2019 im Verlag tredition

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(letzte Änderung 07.08.2020, abgelegt unter: Diagnostik, Philosophie, Psychiatrie, Psychopathologie, Zitate)

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weiter zum Beitrag: Zur Geschichte der psychiatrischen Klassifikation

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