Beispiele für empirische Urteile in Medizin und Psychiatrie

Bezüglich den empirischen Urteilen unterscheidet Immanuel Kant Wahrnehmungsurteile von Erfahrungsurteilen.

Das Kant Zitat dazu finden sie hier

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Nachfolgend ein paar Beispiele zu empirischen Urteilen:

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Ein Arzt sagt: Auf dem Röntgenbild sieht man, dass der Knochen gebrochen ist.

Es handelt sich dabei um ein Erfahrungsurteil. Jede fachkundige Person und auch eine Laienperson, die das Bild sieht, wird dem Arzt zustimmen, womit man sagen kann, dass dieses Urteil allgemein gültig ist und somit ein Erfahrungsurteil im Kant`schen Sinne ist, weil sich das Urteil auf die Beschaffenheit des Gegenstandes (vgl. mit Kant Zitat 6) bzw. auf einen „Gegenstand schlechthin“ bezieht (vgl. mit Kant Zitat 7 und Kant Zitat 9).

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Ein Psychiater sagt: bei der Patientin besteht eine Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Falls die psychische Störung deutlich ausgeprägt ist, werden auch andere Psychiater und Psychiaterinnen sich dieser Sichtweise anschließen. Wenn die Symptomatik jedoch nicht sehr deutlich ausgeprägt ist, werden nicht alle Psychiater und Psychiaterinnen sich dieser Sichtweise anschließen. Es handelt sich im Kant`schen Sinne bei diesem Urteil um ein Wahrnehmungsurteil, weil das diagnostische Urteil sich auf die „logische Verknüpfung von Wahrnehmungen in einem denkenden Subjekt“ (vgl. mit Kant Zitat 6) gründet.

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Ein Arzt sagt, nachdem der Haut-Provokationstest eine deutliche Hautreaktion hervorgerufen hat, dass eine Allergie auf Erdbeeren besteht.

Es handelt sich bei diesem Urteil des Arztes um ein Erfahrungsurteil. Alle fachkundigen Ärzte werden mit diesem Urteil übereinstimmen, weil es sich auf die Beschaffenheit des Gegenstandes (vgl. mit Kant Zitat 6) bzw. auf einen „Gegenstand schlechthin“ oder man kann sagen: auf einen objektiven Befund gründet – womit das Urteil allgemein gültig  bzw. objektiv gültig ist.

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Ein Patient hat seit ca. einer Stunde Schmerzen in der Brust. Der Arzt untersucht den Patienten und glaubt primär, dass der Patient – so wie auch früher schon – lediglich stenokardische Beschwerden hat. Zur Sicherheit macht der Arzt jedoch eine EKG Aufzeichnung und nimmt anschließend dem Patienten auch noch eine Blutprobe ab. Als Folge dieser Untersuchungen stellt sich heraus, dass der Patient einen Herzinfarkt erlitten hat.

In der ersten Phase der Diagnostik, solange der Arzt den Sachverhalt noch nicht objektiviert hatte, in der Phase als seine Einschätzung als Verdachtsdiagnose bestand, war sein Urteil ein Wahrnehmungsurteil. Nach dem dann die positiven objektiven Befunde vorlagen, nach dem sowohl die EKG Kurve auffällig war und auch der positive Laborbefund vorlag, hatte es sich erwiesen, dass der Patient einen Herzinfarkt – im Sinn eines Faktums – erlitten hat. Aus dem zuerst nur subjektiv gültigen Urteil (stenokardische Beschwerden) das primär auf einer phänomenologischen Diagnose beruht wurde damit ein Erfahrungsurteil das auf einer durch Fakten begründeten Diagnose bzw. auf einer ätiologischen Diagnose beruht. Im gegenständlichen Fall konnte also das Wahrnehmungsurteil an der Erfahrung geprüft /überprüft und berichtigt werden (objektiviert werden). Das primäre Urteil konnte also durch die aufzeigbaren (demonstrierbaren)Merkmale, die dem Untersucher als „Gegenstände schlechthin“ (die EKG Zeichen und Enzymwerte) bzw. als „Beschaffenheiten“ (vgl. mit Kant Zitat 6) eines real existenten Erkenntnisobjekts, nämlich als Folge des infarzierten Herzmuskelbereichs allgemein gültig gegeben sind, allgemein gültig und damit objektiv gültig erfasst werden. Alle fachkundigen Ärzte stimmen auf der Grundlage dieser klinischen Befunde mit dieser Beurteilung überein, womit das Urteil ein Erfahrungsurteil im Sinn von Immanuel Kant ist.

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Ein Patient zeigt seit einiger Zeit psychische Auffälligkeiten und er wird in einer psychiatrischen Klinik von mehreren Ärzten untersucht. Der Arzt A gelangt zur diagnostischen Einschätzung, dass eine Persönlichkeitsstörung vorliegt. Die Ärztin B vertritt den Standpunkt, dass die Kriterien einer psychotischen Störung aus dem schizophrenen Formenkreis erfüllt sind. Bei beiden diagnostischen Urteilen handelt es sich um Wahrnehmungsurteile. Eine objektive Klärung, ob beim Patienten eine Persönlichkeitsstörung oder eine psychotische Störung aus dem schizophrenen Formenkreis im Sinn einer Schizophrenie vorliegt, ist nicht möglich. Beziehungsweise es sind keine objektiven Befunde etwa biologische Befunde verfügbar, um die eine oder die andere psychiatrische Diagnose allgemein gültig zu beweisen. Dieser Unterschied im Ergebnis in der psychiatrischen Diagnostik kann, insbesondere in der Forensischen Psychiatrie mit weitreichenden Konsequenzen verbunden sein, wenn es etwa in einem Rechtsverfahren vor Gericht um die Frage geht, ob zur fraglichen Zeit Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit bei der betroffenen Person bestanden hat.

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Ein Patient sagt: er fühlt sich (subjektiv) krank und erwartet sich von seinem Arzt eine Krankschreibung. Der Arzt findet “objektiv”, dass keine Symptome oder Krankheitszeichen vorliegen, die eine so weit gehende Einschränkung rechtfertigen und er ist daher nicht bereit dem Wunsch des Patienten zu entsprechen.

Es handelt sich in diesem Fall um ein Wahrnehmungsurteil beim Patienten. Seine Selbsteinschätzung bzw. seine subjektive Sichtweise und damit seine subjektive Einschätzung gründet sich auf ein Wahrnehmungsurteil. Auch die Sichtweise des Arztes beruht in diesem Fall auf einem Wahrnehmungsurteil, insofern nicht objektive Befunde für eine Krankheit sprechen. Dabei stimmen in diesem Fall die beiden Wahrnehmungsurteile nicht überein. Oder man kann auch sagen die beiden Personen sind auf der Grundlage der unterschiedlichen Sichtweisen zu gegenteiligen Ansichten gelangt.

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Ein Patient klagt über Schmerzen im ganzen Körper.

Zwei Ärzte untersuchen unabhängig von einander den Patienten.  Der eine Arzt gelangt zum Ergebnis, dass beim Patienten hinreichend Schmerzpunkte feststellbar sind und er stellt daher die medizinische Diagnose Fibromyalgie fest. Der andere Arzt gelangt nicht zu diesem Ergebnis.

Bei beiden Urteilen der Ärzte handelt es sich hier in der Medizin um Wahrnehmungsurteile die nicht weiter überprüft, also nicht objektiviert werden können. Eine objektive Entscheidung, welcher der beiden Ärzte den Sachverhalt richtig diagnostiziert hat, ist im gegenständlichen Fall nicht möglich.

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Ein Patient, der sich auf einer psychiatrischen Abteilung in stationärer Behandlung befindet und der vor kurzem noch Suizidgedanken geäußert hat, möchte übers Wochenende in den Ausgang gehen und berichtet aktuell, dass es ihm besser geht.

Zwei Ärztinnen hören die Angaben des Patienten. Die eine Ärztin ist der Ansicht, dass es verantwortbar ist den Patienten in den Wochenendausgang gehen zu lassen, die andere Ärztin hat diesbezüglich ihre Bedenken. Es handelt sich bei den Einschätzungen der Ärztinnen um Wahrnehmungsurteile. Welche der beiden Ärztinnen den Sachverhalt „richtig“ einschätzt kann nicht objektiv entschieden werden.

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Ein Patient berichtet, dass er sich seit einiger Zeit nicht mehr so gut konzentrieren kann.

Am Ende der klinischen Untersuchung findet der Arzt, dass auffallende Konzentrationsstörungen gegenwärtig nicht vorliegen.

Es handelt sich beim Urteil des Patienten (bei der Selbsteinschätzung des Patienten), wie auch beim Urteil des Arztes um ein Wahrnehmungsurteil.

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Eine Person hat wiederholt Geschäfte abgeschlossen, die für sie nachteilig waren. Im Rahmen der medizinisch-psychologischen Abklärung wird ein Intelligenztest durchgeführt. Der Intelligenztest ergibt einen IQ (Intelligenzquotienten) von 85%. Die Fachleute sagen, es liegt somit eine leichtgradige Intelligenzminderung vor. Bei diesen Feststellungen der Fachleute handelt es sich um Wahrnehmungsurteile der einzelnen Fachpersonen, weil objektiv, im Sinne von allgemein gültig, eine Intelligenzquotientenbestimmung nicht möglich ist. Jede Intelligenzquotientenbestimmung bezieht sich auf eine Konvention, nämlich auf ein per Konvention festgelegtes Schema welches „so“ oder „so“ definiert worden ist, und es kann daher nicht allgemein gültig (das heißt unabhängig von einer Konvention) – sondern nur innerhalb der angewandten Konvention gültig – entschieden werden, wie hoch der Intelligenzquotient der untersuchten Person ist. Mit anderen Worten: wird die Konvention geändert dann „schneidet“ dieselbe Person im Test anders ab und liegt das Ergebnis sodann möglicherweise nicht im Bereich der leichtgradigen Intelligenzminderung.

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Ein Patient ist an der Ambulanz der psychiatrischen Klinik der Universität in Behandlung und es soll sein Fall in eine wissenschaftliche Studie aufgenommen werden.

Der eine mit der Studie befasste Arzt ist der Ansicht, dass der Patient den Kriterien der Studie wegen seines des psychischen Befundes entspricht. Der andere Arzt ist der Ansicht, dass die geforderten Kriterien nicht hinreichend erfüllt sind. Es kann in diesem Fall nicht objektiv gültig und damit nicht allgemein gültig entschieden werden, ob es zulässig ist den konkreten Fall in die Studie aufzunehmen. Die unterschiedlichen Sichtweisen der Fachärzte beruhen auf unterschiedlichen Wahrnehmungsurteilen. In der Psychiatrie beruht die Diagnostik auf psychischen Phänomenen und es kann daher in der psychiatrischen Praxis und auch in der psychiatrischen Wissenschaft eine psychiatrische Diagnose nur in Bezug auf einen definierten Typus erkannt und und in der Psychiatrischen Diagnostik entschieden werden, wie dies der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers auf der Grundlage der Philosophie von Immanuel Kant erkannt hat.

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Weiteres zu dieser Thematik in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im April 2019 im Verlag tredition

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(letzte Änderung 04.01.2010, abgelegt unter: Medizin, Medizinische Diagnostik, Psychiatrie, Wissenschaft)

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weiter zur Seite: medizinische Diagnose – psychiatrische Diagnose

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