Rückblick in die Geschichte der Medizin

Blickt man auf die Geschichte der Medizin zurück, so sieht man, dass die meisten der derzeit gültigen Krankheitseinheiten erst im Laufe der jüngeren Geschichte entdeckt worden sind und dass erst nach der Entdeckung der Krankheitseinheiten in weiterer Folge auch spezifische Behandlungsmethoden zur Behandlung dieser Krankheitszustände entdeckt und systematisch erprobt wurden.

Zum Beispiel kann die klinische Diagnose Herzinfarkt erst gestellt werden seit bei Auftreten von Schmerzen im Brustbereich, welche in Folge von verminderter Durchblutung des Herzmuskels auftreten, in der EKG-Untersuchung typische Veränderungen sichtbar sind und zusätzlich im Laufe von Stunden nach dem Auftreten dieser Schmerzen auch typische Veränderungen von gewissen Laborwerten im Blut auftreten (also objektive, indirekte Hinweise auf eine Schädigung der Herzmuskelzellen vorliegen). Wenn diese typischen Merkmale gesichert sind dann steht die klinische Diagnose Herzinfarkt fest und spätestens dann wird nach den Regeln der ärztlichen Kunst eine gezielte spezifische Behandlung eingeleitet.

Während es in Bezug auf viele gesundheitliche Störungen im Laufe der letzten 2 Jahrhunderte möglich war körperliche „Ursachen“ ausfindig zu machen, welche eine klinische Krankheitseinheit charakterisieren war dies bei den meisten psychischen (psychiatrischen) Krankheitszuständen (Störungen) nicht möglich. Daher ist es so, dass psychische Krankheitszustände (Störungen) weiterhin nur phänomenologisch beschrieben werden (griechisch: phainomenon: ein sich Zeigendes, ein Erscheinendes). So wird beispielsweise der Gedankenablauf, das Denken der Form nach und dem Inhalt nach beschrieben. Man spricht von „formalen“ und „inhaltlichen“ Denkstörungen. Desgleichen wird die Gemütslage beschrieben und beurteilt und spricht man daher von „ausgeglichener“ Gestimmtheit, von „depressiver“ Gestimmtheit oder von „maniformer“ Gestimmtheit usf. Je nach dem der Untersucher in Bezug auf derartige psychische Phänomene Auffälligkeiten feststellt gelangt er zu psychopathologischen Phänomenen, die in weiterer Folge – je nach dem – Anlaß zur Feststellung einer psychiatrischen Diagnose geben.

In Folge der Endeckung der verschiedenen körperlichen Krankheitsursachen entstand die Nosologie der körperlichen Krankheiten welche auch als somatische Krankheiten bezeichnet werden.

Bezüglich der meisten psychischen Krankheiten (Störungen) konnten, – wie gesagt – keine körperlichen Ursachen ausfindig gemacht werden – durch die das Krankheitsgeschen im einzelnen Fall diagnostisch gesichert werden kann, wenn gleich natürlich vieles dafür spricht, dass gewisse psychische Störungen als Folge von biochemischen oder sonstigen organischen Störungen der Nervenzellen auftreten   – sondern war es nur möglich die einzelnen Krankheitsbilder gemäß ihren Erscheinungen (= Phänomen) zu beschreiben und zu diagnostizieren.

So kam der Internist und Nervenarzt Wilhelm Griesinger im Jahr 1845 zur ersten systematischen Nosologie der Psychischen Krankheiten: „nach der Art und Weise der psychischen Anomalie“ welche er in der ersten Ausgabe seines Buches: Pathologie und Therapie der Psychischen Krankheiten“ publizierte.

Wilhelm Griesinger schreibt in seinem Buch: „Pathologie und Therapie der Psychischen Krankheit“ im Kapitel: „Die Formen der psychischen Krankheiten“:

§ 110

“ Eine Eintheilung der psychischen Krankheiten nach ihrem Wesen, d.h. nach den ihnen zu Grunde liegenden anantomischen Veränderungen des Gehirns ist derzeit nicht möglich (§6); sondern, wie die ganze Classe der Geisteskrankheiten nur eine symptomatologisch gebildete ist, so lassen sich als ihre verschiedenen Arten zunächst nur verschiedene Symptomencomplexe, verschiedene Formen des Irreseins angeben. Statt des anatomischen Einteilungsprinzips müssen wir das funktionelle, physiologische festhalten, und dieses wird hier, da die Störungen des Vorstellens und Strebens die hauptsächlichsten und auffallendsten sind, zum psychologischen. Nach der Art und Weise der psychischen Anomalie ist also das Irresein einzutheilen; während es nun aber die Aufgabe des clinischen Unterrichts ist, die Mannigfaltigkeit der psychischen Störungen in den concreten Erkrankungsfällen hervozuheben und zu analysieren, muss sich die Nosologie mit der Aufstellung weniger Hauptgruppen psychischer Störungen, weniger psychisch-anomaler Grundzustände begnügen, die sich aus der Übereinstimmung sehr vieler Fälle in gewissen charakteristischen Merkmalen ergeben und auf die sich daher alle Mannigfaltigkeit des einzelnen Erkrankens zurückführen lässt. Diese Grundzustände und ihre äussere Erscheinung haben wir hauptsächlich hier zu schildern, und wenn dabei die Varietäten und Übergänge der einzelnen Formen in einander freilich wohl beachtet werden müssen, so kann dies doch niemals in erschöpfendem Detail geschehen;“(Wilhelm Griesinger, 2. Aufl., Berlin 1867, Seite 211, Auszug aus dem Nachdruck des Verlages E. J. Bonset, Amsterdam 1967)

Diese Aussagen von Wilhelm Griesinger aus dem Jahr 1845 gelten auch heute noch genau so wie sie damals gegolten haben.

Psychiater sollten sie sich also dessen bewußt sein, dass „die Varietäten und Übergänge der einzelnen Formen in einander freilich wohl beachtet werden müssen“ und macht es daher z.B. wenig Sinn sich darüber zu streiten ob z.B. ein realer Krankheitszustand der einen psychiatrischen Krankheitseinheit oder der anderen psychiatrischen Krankheitseinheit innerhalb einer Klassifikation zuzuordnen ist wenn das Krankheitsbild nicht sehr typisch ausgeprägt ist.

Infolge dieses erkenntnismäßigen Ursprungs der psychiatrischen Diagnosen ist es auch absehbar, dass die diagnostischen Probleme, wie wir sie in der Psychiatrie kennen, fortbestehen werden auch wenn die psychiatrische Klassifikation, die ICD- und DSM- Klassifikationen weiter fortentwickelt werden. Mit anderen Worten es ist vorhersehbar, dass durch die Weiterentwicklung der psychiatrischen Klassifikation zu ICD-11, dann zu ICD -12, …. bis hin zu ICD-xx die grundsätzlichen diagnostischen psychiatrischen Probleme fortbestehen werden und nicht gelöst werden können.

……………………………………………………..

weiter zur Seite: medizinische Diagnose – psychiatrische Diagnose

………………………………………………………Blickt man auf die Geschichte der Medizin, so sieht man, dass die meisten der derzeit gültigen Krankheitseinheiten erst im Laufe der jüngeren Geschichte entdeckt worden sind und dass erst nach der Entdeckung der Krankheitseinheiten in weiterer Folge auch spezifische Behandlungsmethoden zur Behandlung dieser Krankheitszustände entdeckt und systematisch erprobt wurden.

Zum Beispiel kann die klinische Diagnose Herzinfarkt erst gestellt werden seit bei Auftreten von Schmerzen im Brustbereich, welche in Folge von verminderter Durchblutung des Herzmuskels auftreten, in der EKG-Untersuchung typische Veränderungen sichtbar sind und zusätzlich im Laufe von Stunden nach dem Auftreten dieser Schmerzen auch typische Veränderungen von gewissen Laborwerten im Blut auftreten (also objektive, indirekte Hinweise auf eine Schädigung der Herzmuskelzellen vorliegen). Wenn diese typischen Merkmale gesichert sind dann steht die klinische Diagnose Herzinfarkt fest und spätestens dann wird nach den Regeln der ärztlichen Kunst eine gezielte spezifische Behandlung eingeleitet.

Während es in Bezug auf viele gesundheitliche Störungen im Laufe der letzten 2 Jahrhunderte möglich war körperliche „Ursachen“ ausfindig zu machen, welche eine klinische Krankheitseinheit charakterisieren war dies bei den meisten psychischen (psychiatrischen) Krankheitszuständen (Störungen) nicht möglich. Daher ist es so, dass psychische Krankheitszustände (Störungen) weiterhin nur phänomenologisch beschrieben werden (griechisch: phainomenon: ein sich Zeigendes, ein Erscheinendes). So wird beispielsweise der Gedankenablauf, das Denken der Form nach und dem Inhalt nach beschrieben. Man spricht von „formalen“ und „inhaltlichen“ Denkstörungen. Desgleichen wird die Gemütslage beschrieben und beurteilt und spricht man daher von „ausgeglichener“ Gestimmtheit, von „depressiver“ Gestimmtheit oder von „maniformer“ Gestimmtheit usf. Je nach dem der Untersucher in Bezug auf derartige psychische Phänomene Auffälligkeiten feststellt gelangt er zu psychopathologischen Phänomenen, die in weiterer Folge – je nach dem – Anlaß zur Feststellung einer psychiatrischen Diagnose geben.

In Folge der Endeckung der verschiedenen körperlichen Krankheitsursachen entstand die Nosologie der körperlichen Krankheiten welche auch als somatische Krankheiten bezeichnet werden.

Bezüglich der meisten psychischen Krankheiten (Störungen) konnten, – wie gesagt – keine körperlichen Ursachen ausfindig gemacht werden – durch die das Krankheitsgeschen im einzelnen Fall diagnostisch gesichert werden kann, wenn gleich natürlich vieles dafür spricht, dass gewisse psychische Störungen als Folge von biochemischen oder sonstigen organischen Störungen der Nervenzellen auftreten   – sondern war es nur möglich die einzelnen Krankheitsbilder gemäß ihren Erscheinungen (= Phänomen) zu beschreiben und zu diagnostizieren.

So kam der Internist und Nervenarzt Wilhelm Griesinger im Jahr 1845 zur ersten systematischen Nosologie der Psychischen Krankheiten: „nach der Art und Weise der psychischen Anomalie“ welche er in der ersten Ausgabe seines Buches: Pathologie und Therapie der Psychischen Krankheiten“ publizierte.

Wilhelm Griesinger schreibt in seinem Buch: „Pathologie und Therapie der Psychischen Krankheit“ im Kapitel: „Die Formen der psychischen Krankheiten“:

§ 110

“ Eine Eintheilung der psychischen Krankheiten nach ihrem Wesen, d.h. nach den ihnen zu Grunde liegenden anantomischen Veränderungen des Gehirns ist derzeit nicht möglich (§6); sondern, wie die ganze Classe der Geisteskrankheiten nur eine symptomatologisch gebildete ist, so lassen sich als ihre verschiedenen Arten zunächst nur verschiedene Symptomencomplexe, verschiedene Formen des Irreseins angeben. Statt des anatomischen Einteilungsprinzips müssen wir das funktionelle, physiologische festhalten, und dieses wird hier, da die Störungen des Vorstellens und Strebens die hauptsächlichsten und auffallendsten sind, zum psychologischen. Nach der Art und Weise der psychischen Anomalie ist also das Irresein einzutheilen; während es nun aber die Aufgabe des clinischen Unterrichts ist, die Mannigfaltigkeit der psychischen Störungen in den concreten Erkrankungsfällen hervozuheben und zu analysieren, muss sich die Nosologie mit der Aufstellung weniger Hauptgruppen psychischer Störungen, weniger psychisch-anomaler Grundzustände begnügen, die sich aus der Übereinstimmung sehr vieler Fälle in gewissen charakteristischen Merkmalen ergeben und auf die sich daher alle Mannigfaltigkeit des einzelnen Erkrankens zurückführen lässt. Diese Grundzustände und ihre äussere Erscheinung haben wir hauptsächlich hier zu schildern, und wenn dabei die Varietäten und Übergänge der einzelnen Formen in einander freilich wohl beachtet werden müssen, so kann dies doch niemals in erschöpfendem Detail geschehen;“(Wilhelm Griesinger, 2. Aufl., Berlin 1867, Seite 211, Auszug aus dem Nachdruck des Verlages E. J. Bonset, Amsterdam 1967)

Diese Aussagen von Wilhelm Griesinger aus dem Jahr 1845 gelten auch heute noch genau so wie sie damals gegolten haben.

Psychiater sollten sie sich also dessen bewußt sein, dass „die Varietäten und Übergänge der einzelnen Formen in einander freilich wohl beachtet werden müssen“ und macht es daher z.B. wenig Sinn sich darüber zu streiten ob z.B. ein realer Krankheitszustand der einen psychiatrischen Krankheitseinheit oder der anderen psychiatrischen Krankheitseinheit innerhalb einer Klassifikation zuzuordnen ist wenn das Krankheitsbild nicht sehr typisch ausgeprägt ist.

Infolge dieses erkenntnismäßigen Ursprungs der psychiatrischen Diagnosen ist es auch absehbar, dass die diagnostischen Probleme, wie wir sie in der Psychiatrie kennen, fortbestehen werden auch wenn die psychiatrische Klassifikation, die ICD- und DSM- Klassifikationen weiter fortentwickelt werden. Mit anderen Worten es ist vorhersehbar, dass durch die Weiterentwicklung der psychiatrischen Klassifikation zu ICD-11, dann zu ICD -12, …. bis hin zu ICD-xx die grundsätzlichen diagnostischen psychiatrischen Probleme fortbestehen werden und nicht gelöst werden können.

(letzte Änderung 25.10.2020, abgelegt unter Medizin, Medizinische Diagnostik)

.

……………………………………………………..

weiter zur Seite: medizinische Diagnose – psychiatrische Diagnose

………………………………………………………

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert