Der Verlauf ein wichtiges Kriterium in der Medizin

Der klinische Verlauf ist in der Medizin in vielen Fällen ein sehr wichtiges Kriterium, um nicht zu sagen das wichtigste Kriterium.

Man kann nämlich im „Hier und Jetzt“ in der Medizin oftmals auf der Grundlage von Befunden auch wenn es sich um objektive Befunde handelt – nicht sicher sein wie ein Sachverhalt diagnostisch einzuschätzen ist.

Erläuterung am Beispiel Hypothyreose – Hyperthyresose:

Wenn zum Beispiel die labordiagnostische Abklärung eine grenzwertige Hypothyreose ergibt, man also in einem konkreten Fall einen Laborwert findet, der grenzwertig unter dem Normalbereich gelegen ist, dann kann man noch nicht sicher sein, dass im konkreten Fall eine klinisch relevante Hypothyreose vorliegt. Wenn der Wert massiv unter dem Normalwert liegt, wenn der Wert also weit außerhalb der Normalverteilung der Gausschen Glockenkurve liegt (vgl. mit dem WikiBeitrag) dann ist es klar, dass eine klinisch relevante Hypothyreose vorliegt wenn auch die Klinik entsprechend ist. Wenn der Laborwert weit außerhalb der Normalverteilung liegt, dann kann man relativ sicher sein, dass ein Mangel an Schilddrüsenhormon eine relevante klinische Störung verursacht, insbesondere wenn der labordiagnostische Befund mit der Klinik korreliert.

Wenn jedoch die Klinik nicht signifikant ist, dann kann es durchaus sein, dass im konkreten Fall der Wert zwar nieder ist, eine relevante klinische Störung aber dadurch nicht gegeben ist. Entscheidend ist also immer die Klinik und nicht der Laborwert. Dies gilt analog auch für eine fragliche Hyperthyreose. Entscheidend ist immer die Klinik bzw. der klinische Befund.

Eine Idee ist nämlich nicht konstitutiv sondern nur regulativ – wie dies Immanuel Kant aufgezeigt hat (vgl. mit Kant Zitat 3a). Wenn man zum Beispiel die Idee „Hypothyreose“, oder die Idee „Hyperthyreose“ erlangt hat, dann kann es sein, dass eine relevante klinische Störung vorliegt. Man kann jedoch im Grenzbereich vorerst nicht sicher sein, dass tatsächlich eine klinisch relevante Störung vorliegt, nur weil der Laborwert außerhalb der Normalverteilung gelegen ist. Man kann in einem solchen Fall noch nicht mit Sicherheit aus dem Laborwert erkennen, ob im konkreten Fall tatsächlich eine Unterfunktion, oder eine Überfunktion der Schilddrüse vorliegt. Erst aus dem Verlauf erweist es sich, ob dem tatsächlich so ist. Ein kritischer Arzt wird also mit der Indikation zu irreversiblen Maßnahmen im Fall der Hyperthyreose sehr zurückhalten sein. Ein kritischer Arzt wird sich immer vorsichtig „vorantasten“ und den Verlauf als entscheidendes Kriterium berücksichtigen, welche Maßnahme als nächste zu ergreifen ist, auf welche Art und Weise zu behandeln ist.

Im Gegensatz dazu wird ein unkritischer Arzt sich auf den Laborwert verlassen und den Patienten gemäß dem Laborwert „einstellen“ – und wird ein solcher Arzt glauben den Patienten damit richtig eingestellt zu haben. Tatsächlich kann es aber sein, dass der Patient dadurch zu „hoch“ oder zu „nieder“ eingestellt wird. Es kann nämlich sein, dass für den konkreten Patienten die Normalverteilung nicht genau die passende Norm ist. Man sollte nicht vergessen wie die Normalverteilung entstanden ist. Die Normalverteilung kann für ihn passend sein, aber sie kann für ihn auch relativ unpassend sein, eben weil sein Normalwert ein anderer ist als der statistisch ermittelte Mittelwert. Dies wird ein kritischer Arzt beziehungsweise ein im Sinn der Aufklärung aufgeklärter Arzt beachten und berücksichtigen.

Ein unkritischer Arzt wird dies nicht beachten und auch nicht berücksichtigen. Ein unkritischer Arzt wird geneigt sein die Normwerte, so wie sie auf der Grundlage von statischen Studien entstanden sind, und die daraus abgeleiteten Leitlinien zu hoch zu bewerten. Ein im Sinn der Aufklärung nicht aufgeklärter Arzt wird also die Leitlinien überbewerten, und diese über den klinischen Befund stellen. Damit täuscht sich dieser Arzt allerdings und verfehlt er die bestmögliche Behandlung. (vgl. mit Kant Zitat 2)

Eine Idee – auch wenn sie auf der Grundlage eines objektiven Befundes entsteht – liefert also immer nur relatives Wissen und kein absolutes Wissen. Das bedeutet man sollte eine Idee immer nur relativistisch verwenden, auch wenn sie auf der Grundlage von objektiven Befunden entstanden ist. Dies ist sollte man so machen, weil es sich bei einer sochen Idee immer um eine aus der Erfahrung abgeleitete Idee handelt, und solches Wissen immer beschränkt ist (vgl. mit Kant Zitat 3a). Man sollte also das momentane Wissen immer in der Schwebe halten – wie dies Karl Jaspers in Bezug auf das Wissen in der Psychiatrie formuliert hat – ähnliches gilt auch für das Wissen in der Medizin. Man hat zwar in der Medizin oftmals objektive Befunde als Eckdaten, und hat man daher ein konkretes Ausgangswissen. An sich kann man jedoch im konkreten Fall nicht absolut wissen wie die Dinge gelegen sind. Man kann also auch in der Medizin viele Sachverhalte nur in Bezug auf einen Typus beurteilen. Wenn das klinische Erscheinungsbild typisch ist und der Laborbefund typisch ist, oder sonst ein objektiver Befund ausgeprägt ist, dann kann man in Bezug auf die diagnostische Einschätzung – sprich in Bezug auf die Diagnose relativ sicher sein. Wenn dies jedoch nicht der Fall ist, wenn die Klinik mit dem Laborbefund bzw. dem physischen Befund nicht übereinstimmt, dann sollte man den Laborbefund bzw. den physischen Befund nicht über die Klinik stellen. Eben weil eine Idee an sich nicht konstitutiv sondern nur regulativ ist.

Auch in der Psychiatrie ist der Verlauf in vielen Fällen das entscheidende Kriterium, ob es sich um eine krankheitswertige psychische Störung handelt und daher eine psychiatrische Diagnose zu feststellen ist oder nicht.

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(letztes update 15.11. 2011)

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