Psychiatrische Wissenschaft – zum Grad der Wissenschaftlichkeit – 3. Teil

In der Medizin kann man einen Teil der medizinischen Diagnosen objektiv gültig und damit unzweifelhaft gewiss bestimmen. In der Psychiatrie kann man die psychiatrischen Diagnosen in manchen Fällen zwar allgemein anerkannt erklären (z.B. wenn eine körperliche Ursache gefunden wird, die die psychische Störung erklärt). Im Zweifelsfall kann man jedoch nicht objektiv gültig entscheiden, ob die in Betracht stehende psychiatrische Diagnose zutreffend ist. Das heißt man kann im Zweifelsfall die psychiatrische Diagnose nicht allgemein gültig überprüfen, das heißt man kann sie nicht objektivieren.

Dies ist so, weil psychische Störungen auf der Grundlage eines psychischen Symptomenkomplexes festgestellt werden und nicht auf der Grundlage von körperlichen Fakten. Man kann nämlich im Zweifelsfall in der Psychiatrie nicht auf der Grundlage eines körperlichen Faktums feststellen und objektiv gültig entscheiden, ob die in Betracht kommende psychiatrische Diagnose zutreffend ist. Man kann in der Psychiatrie nur auf der Grundlage einer Idee – und zwar auf der Grundlage einer bloßen Idee – auf der Ebene der Ideen subjektiv gültig entscheiden, ob eine psychiatrische Diagnose zutreffend ist. Daher kann man, wenn das klinische Erscheinungsbild nicht typisch ist nicht objektiv gültig und damit nicht allgemein gültig entscheiden, ob etwa ein konkreter Fall in eine wissenschaftliche Studie aufgenommen werden soll, oder ob er nicht in die Studie aufgenommen werden soll.

Wenn das klinische Erscheinungsbild typisch ist, d.h. wenn der Symptomenkomplex typisch ist, dann werden in der wissenschaftlichen Forschung in der Regel zwar alle Fachleute den Fall in die Studie aufnehmen. Wenn das klinische Erscheinungsbild jedoch nicht typisch ist, dann wird der eine Forscher den Fall  in die Studie aufnehmen, wohingegen ein anderer Forscher den Fall nicht in seine Studie aufnehmen wird. Man erkennt damit, dass sich dies auf die Reliabilität und die Validität und damit auf die Aussagekraft der psychiatrischen Studien in der Psychiatrischen Wissenschaft auswirkt.

Da in der Psychiatrie die Erkenntnisse auf psychischen Phänomenen bzw. auf psychopathologischen Phänomenen beruhen, die im Bewusstsein der erkennenden Fachperson in der Form der Begriffe der Ideen erscheinen (griechisch: phenomenon – das was erscheint, das Erscheinende), handelt es sich in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) grundsätzlich um ein anderes Wissen als in der Naturwissenschaft,wo die wissenschaftlichen Daten auf der Grundlage von physisch objektiv bestimmbaren Fakten bzw. physisch objektiv messbaren Fakten erlangt werden. (vgl. mit Kant Zitat 7)

Der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers hat dies erkannt. (vgl. mit Jaspers Zitat)

Man kann also in der Psychiatrischen Wissenschaft wissenschaftliche Studien nur auf der Grundlage von subjektivem Wissen erlangen. Damit haben psychiatrische Studien grundsätzlich einen geringeren Erkenntniswert als die Studien in der Medizin, soweit diese auf der Grundlage von objektiven Befunden erlangt werden. Die Subjektivität lässt sich in der Psychiatrie nicht überwinden. (Weiteres dazu auf Poster 6: Diagnosis in Psychiatry – the Role of Biological Markers – an investigation in the light of Immanuel Kant`s philosophy)

Daher ist psychiatrisches Wissen immer beschränktes Wissen, weil psychiatrisches Wissen auf der Grundlage von Ideen gewonnen wird. (vgl. mit Kant Zitat 3a)

Man ist leicht geneigt dies zu übersehen und außer Betracht zu lassen, wenn man in der psychiatrischen Wissenschaft die subjektiven Befunde zählt und diese so verrechnet wie in der Medizin die objektiv bestimmbaren Befunde (Weiteres dazu auf Poster 3: Probability in Medicine and in Psychiatry – an investigation in the ligth of Immanuel Kant´s philosophy).

Auf der Ebene der Zahlen fällt es nicht auf was gezählt worden ist. Man sollte jedoch nicht außer Acht lassen, dass in der Psychiatrie psychische Erscheinungen gezählt werden und keine körperlichen Fakten. Es werden in der psychiatrischen Wissenschaft also die Begriffe von Ideen gezählt, die im Bewusstsein der erkennenden Personen erscheinen. Mit anderen Worten: es werden in der psychiatrischen Wissenschaft systematische Einheiten gezählt und keine faktischen Einheiten (vgl. mit Kant Zitat 7).

Man sollte also beachten auf welcher Grundlage die Zahlen im Rahmen von wissenschaftlichen Studien entstanden sind. Das bedeutet man sollte kritisch sein.

Ein im Sinn der Aufklärung aufgeklärter Forscher wird kritisch sein. Auch ein im Sinn der Aufklärung aufgeklärter, in der Praxis tätiger Arzt wird kritisch sein und beachten auf welcher Grundlage er sein Wissen erlangt hat. Man sollte die Herkunft des Wissens reflektieren und die Grenzen des Wissens beachten und berücksichtigen. Man sollte also beachten und berücksichtigen auf welcher Grundlage das Wissen entstanden ist, dies gilt auch für das Wissen das von Seiten der wissenschaftlichen Forschung im Rahmend der Fortbildung präsentiert wird.

Es macht einen großen Unterschied, ob Wissen auf der Grundlage von Fakten erlangt worden ist, oder auf der Grundlage von Ideen (vgl. mit Kant Zitat 7). (Weiteres dazu auf Poster 3: PROBABILITY IN MEDICINE AND IN PSYCHIATRY – IN THE LIGHT OF IMMANUEL KANT`S PHILOSOPHY und Poster 6: Diagnosis in Psychiatry – the Role of Biological Markers – an investigation in the light of Immanuel Kant`s philosophy)

Auf der Ebene der Zahlen fällt zwar kein Unterschied auf – weil alle Zahlen gleich ausschauen – egal auf welcher Erkenntnisbasis sie entstanden sind – aber der Unterschied besteht. Es macht einen großen Unterschied auf welcher Erkenntnisgrundlage die Zahlen entstanden sind – und daher sollte man die Zahlen und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen kritisch ansehen und in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) aus den Zahlen abgeleitetes Wissen nur als beschränktes Wissen erkennen und auch nur so gelten lassen. Es macht also einen Unterschied ob es sich um Wissen handelt das auf der Grundlage von objektiver Evidenz erkannt worden ist oder auf der Grundlage von subjektiver Evidenz.

Daher wird ein kritischer Arzt / Psychiater die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studien und auch die Ergebnisse der daraus abgeleiteten Leitlinien nicht überbewerten. Eine kritische Person wird sich dessen bewusst sein, dass es sich dabei um beschränktes Wissen handelt – und es wird eine kritische Person den Grad der Beschränkung beachten. Es gibt nämlich in der Psychiatrie Wissen das vom Grad eines höheren Wissens ist und Wissen das vom Grad eines niedrigeren Wissens ist. Es gibt also einen Unterschied im Grad der Beschränktheit des Wissens in der Psychiatrie.

Es gilt was in der Schichtenregel von Karl Jaspers zum Ausdruck kommt.

Es gibt in der Psychiatrie aus prinzipiellen Gründen Wissen das verlässlicher ist und andererseits höhergradig beschränktes Wissen das weniger verlässlich ist. All dies kommt daher, weil psychiatrisches Wissen auf der Grundlage von Ideen und zwar auf der Grundlage von bloßen Ideen im Sinn von Immanuel Kant erkannt wird und nicht auf der Grundlage von Fakten bzw. nicht auf der Grundlage von objektiven Befunden.

Die Validität und die Reliabilität des Wissens ist in der Psychiatrie also je nach Fall und Sachverhalt verschieden. Auch handelt es sich dabei nicht um augenscheinliche Evidenz sondern um nur scheinbare bzw. nur um mehr oder weniger einleuchtende Evidenz.

Daher sollte man das Wissen und die Erkenntnisse in der Psychiatrie kritisch verwenden und sollte man das Wissen, das auf der Grundlage der psychiatrischen Kategorien einer Psychiatrischen Klassifikation gewonnen worden ist immer in der Schwebe halten – wie dies Karl Jaspers formuliert hat. (vgl. mit Jaspers Zitat 2)

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Weiteres zu dieser Thematik in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im April 2019 im Verlag tredition

In diesem Buch werden die Konsequenzen für die Praxis und Wissenschaft der Psychiatrie auf Grundlage der Philosophie von Immanuel Kant und der „Allgemeinen Psychopathologie“ von Karl Jaspers im Detail aufgezeigt und diskutiert.

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(letzte Änderung 07.07.2019, abgelegt unter psychiatrische Wissenschaft, Psychiatrie)

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