Differenzialdiagnose (Differentialdiagnose)

Eine Differenzialdiagnose (Differentialdiagnose) ist eine mögliche Diagnose neben der aktuell gestellten Diagnose. Dabei wird die zu diesem Zeitpunkt gestellte Diagnose noch nicht als gänzlich gesichert angesehen.

Es ist eine Differentialdiagnose also eine andere mögliche Verdachtsdiagnose.

Man kann auch sagen: die Differenzialdiagnose ist die weniger wahrscheinliche Diagnose (Verdachtsdiagnose), neben der momentan favorisierten Verdachtsdiagnose.

In der Medizin ist eine Differenzialdiagnose eine mögliche medizinische Diagnose, die unter Umständen auf einen objektiven Befund  zurückgeführt, respektive dadurch objektiviert werden kann. Es handelt sich bei der gesundheitliche Störung (Krankheit) bzw. bei deren Ursache möglicherweise um eine Kausalität die allgemein gültig bestimmt werden kann. Man sucht daher bei einer Differenzialdiagnose in der Medizin nach objektiven Kriterien. Falls man objektive Kriterien, sprich objektive Befunde findet, durch die man die medizinische Diagnose objektiv gültig und damit allgemein gültig bestimmen kann, dann ist diese Differenzialdiagnose die tatsächlich gültige medizinische Diagnose. Eine solche unzweifelhafte Bestimmung ist allerdings in der Medizin (und so auch in der Pathologie/Histopathologie) nicht in jedem Fall, insbesondere nicht in jedem diagnostischen Grenzfall möglich.

In der Psychiatrie ist eine Differentialdiagnose für eine psychische Störung eine mögliche, alternative psychiatrische Diagnose. Dabei kann man in der Psychiatrie allerdings nicht allgemein gültig überprüfen bzw. nicht allgemein gültig entscheiden, ob die in Erwägung gezogene psychiatrische Differenzialdiagnose die tatsächlich zutreffende psychiatrische Diagnose ist. Dies ist in der Psychiatrie grundsätzlich nicht möglich, weil hier ein Psychiater nur auf der Ebene seiner Vorstellungen, somit nur auf der „Ebene der Ideen“ durch den Vergleich von psychiatrischen Ideen überprüfen kann, ob die eine in Erwägung gezogene psychiatrische Idee (psychiatrische Diagnose) oder die andere psychiatrische Idee (psychiatrische Diagnose) zutreffend ist.

Man kann in der Psychiatrie nur auf der Ebene der Vorstellungen auf Grundlage einer Idee, und zwar nur auf Grundlage einer bloßen Idee, prüfen, ob die in Erwägung gezogene psychiatrische Diagnose zutreffend ist.

Daher kann man in der Psychiatrie nur subjektiv gültig prüfen und nur subjektiv gültig entscheiden welche psychiatrische Diagnose zutreffend ist. Man kann in der Psychiatrie nämlich nur in Bezug auf einen definierten Typus, also nur in Bezug auf ein definiertes Ideal subjektiv gültig prüfen, ob die in Erwägung gezogene psychiatrische Diagnose zutreffend ist. Man erkennt damit, dass die psychiatrische Diagnostik auf subjektiver Evidenz beruht, wohingegen in der Medizin die Diagnostik in einem Teilbereich auf objektiver Evidenz beruht und daher eine solche medizinische Diagnose in Bezug auf eine Gattung gestellt werden kann.

Diesen Sachverhalt hat in der Psychiatrie der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers auf der Grundlage der Philosophie von Immanuel Kant erkannt (vgl. mit Jaspers Zitat).

Weil es in der Psychiatrie grundsätzlich nicht möglich ist das Zutreffen der erlangten psychiatrischen Diagnose physisch bzw. biologisch begründet durch biologische Befunde zu überprüfen, macht es in der Psychiatrie wenig Sinn von einer Differenzialdiagnose zu sprechen.

Man kann in der Psychiatrie nur auf der Ebene der Vorstellungen subjektiv gültig prüfen und nur subjektiv gültig auf Grundlage von subjektiver Evidenz entscheiden welcher psychiatrischen Kategorie der psychiatrischen Klassifikation das klinische Erscheinungsbild zuzuordnen ist.

Dieser Sachverhalt und die daraus resultierenden Konsequenzen sollten insbesondere bei einem diagnostischen Grenzfall beachtet und berücksichtigt werden. (Anmerkung: Emil Kraepelin hat die Möglichkeit der Überprüfung einer Differenzialdiagnose in der Psychiatrie überschätzt -> vgl. mit Kraepelin Zitat 6). Dieser Sachverhalt sollte in der psychiatrischen Praxis (und ebenso in der Forensischen Psychiatrie) und auch in der psychiatrischen Wissenschaft beachtet und berücksichtigt werden.

In der Medizin macht es unter Umständen Sinn eine Differenzialdiagnose anzugeben, weil man im Rahmen der diagnostischen Abklärung hier in gewissen Fällen tatsächlich objektive Befunde findet, die den (physischen bzw. biologischen) Beweis liefern, dass diese mögliche Diagnose die tatsächliche Diagnose ist.

Das heißt man kann in einem solchen Fall in der Medizin unter den primär möglichen Diagnosen die tatsächlich zutreffende medizinische Diagnose herausfinden und durch die Abklärung allgemein gültig  bestimmen. Eine solche medizinische Diagnose gründet sich auf ein Erfahrungsurteil im Sinn von Immanuel Kant wohingegen es sich bei der Feststellung einer phänomenologischen Diagnose in der Medizin und auch in der Psychiatrie um ein Wahrnehmungsurteil handelt.

In den Fällen, in denen man die Diagnose in der Medizin auf der Grundlage eines nicht-objektivierbaren Symptomenkomplexes erkannt hat, handelt es sich also um eine phänomenologische Diagnose und es ist in einem solchen Fall nicht möglich die Diagnose zu objektivieren. Mit anderen Worten: eine Objektivierung der medizinischen Diagnose ist in einem solchen Fall nicht möglich. In einem solchen Fall kann man nicht auf der Ebene der körperlichen Fakten allgemein gültig entscheiden und allgemein gültig bestimmen welche medizinische Diagnose zutreffend ist, sondern man kann in einem solchen Fall nur – so wie in der Psychiatrie – subjektiv gültig auf der Ebene der Ideen – durch den Vergleich der Ideen – mit der philosophischen Methode der Dialektik entscheiden, welche gesundheitliche Störung vorliegt und wie man sie benennen soll. Es beruht die medizinische Diagnose also in einem solchen Fall auf einem Wahrnehmungsurteil im Sinn von Immanuel Kant (vgl. mit Kant Zitat 6).

Dies gilt für die nicht objektiv bestimmbaren Diagnosen in der Medizin, also für die nicht-objektivierbaren Diagnosen in der Schulmedizin, die man auch als funktionelle Diagnosen bezeichnen kann, oder die man auch als syndromale Diagnosen im engeren Sinn bezeichnen kann. Und es gilt dies auch für die Diagnosen in der Alternativmedizin (Homöopathie, Osteopathie, Akupunktur, Neuraltherapie, sowie für sonstige diverse Naturheilverfahren, Körpertherapieverfahren, Entspannungsverfahren usf.). In all diesen Bereichen kann man unter den in Erwägung gezogenen Diagnosen die letztendlich festgestellte und damit (subjektiv) gewählte Diagnose nicht allgemein gültig bestimmen, weil sie auf nicht allgemein gültig feststellbaren Merkmalen beruht.

Weiteres zur Differenzialdiagnose in der Psychiatrie:

Das was zuvor für die nicht-objektivierbaren Diagnosen in der Medizin gesagt worden ist, gilt grundsätzlich auch für sämtliche Diagnosen in der Psychiatrie. Man kann in der Psychiatrie grundsätzlich nicht allgemein gültig entscheiden welcher diagnostischen Einheit ein konkreter Fall zuzuordnen ist. Es macht daher in der Psychiatrie praktisch keinen Sinn von einer Differentialdiagnose zu sprechen und eine Differenzialdiagnose anzugeben, weil man eine psychiatrische Diagnose grundsätzlich nicht objektivieren kann. Daher bedeutet das Angeben einer Differentialdiagnose in der Psychiatrie nur soviel, dass der Symptomenkomplex bzw. die im konkreten Fall vorgefundenen psychopathologischen Phänomene die Kriterien der psychiatrischen Kategorie nicht gut erfüllt bzw. dass das klinische Erscheinungsbild nicht typisch ist. Man kann auch sagen: es bedeutet, dass die letztlich auf der Grundlage von subjektiver Evidenz gewählte psychiatrische Diagnose die Kriterien besser erfüllt als die alternativen Diagnosen bzw. als die Differenzialdiagnose.

Man kann also sagen, dass in der Psychiatrie in einem Fall in dem die aufgefundenen Merkmale sowohl die Kriterien der einen psychiatrischen Kategorie einigermaßen erfüllen und diese Merkmale auch die Kriterien einer anderen Kategorie einigermaßen erfüllen und kann man daher bei dieser psychischen Störung in diagnostischer Hinsicht von einem Grenzfall sprechen. Man kann also entweder die eine, oder die andere Bezeichnung wählen, nur sollte man dabei sich der Tatsache bewusst sein, dass keine der diagnostischen Einheiten bzw. keine der psychiatrischen Diagnosen eine absolut gültig Erkenntnis ist, sondern dies eben nur eine relativ gültige Erkenntnis ist die durch subjektives Wissen erlangt worden ist.

Daher handelt es sich beim Wissen in der Psychiatrie immer um beschränktes Wissen, das je nach Fall und Sachverhalt mehr oder weniger beschränkt ist.

Man kann in der Psychiatrie also in vielen Fällen nicht gut fundiert entscheiden welcher diagnostischen Einheit ein konkreter Fall zuzuordnen ist und man sollte man daher psychiatrisches Wissen immer in der Schwebe halten – wie dies Karl Jaspers formuliert und zu Recht gefordert hat (vgl. mit Jaspers Zitat 2) – eben weil es sich bei solchem Wissen um subjektives Wissen handelt das nur relativ gültiges Wissen – also nur relatives Wissen ist das beschränktes Wissen ist.

Man kann also in der Psychiatrie – und in gewissen Bereichen auch in der Medizin – diagnostische Einheiten nur in Bezug auf einen definierten Typus auf der Ebene der Ideen prüfen und sodann nur subjektiv gültig entscheiden welchem Typus ein klinisches Erscheinungsbild zuzuordnen ist. (vgl. mit Karl Jaspers Zitat)

Erkenntnistheoretisch betrachtet bzw. philosophisch betrachtet ist eine Differentialdiagnose eine andere Idee zur momentan favorisierten Idee in Konkurrenz steht. In manch einem Fall kann man diese Idee in weiterer Folge auf der Grundlage von körperlichen bzw. auf der Grundlage von physischen Fakten allgemein gültig bestimmen. In anderen Fällen ist jedoch eine solche objektive Bestimmung der diagnostischen Ideen – und somit eine solche Objektivierung nicht möglich (vgl. mit Kant Zitat 7).

Eine Differentialdiagnose ist eine vorerst mögliche, noch unbestimmte Idee (vgl. mit Kant Zitat 7).

Diese mögliche unbestimmte Idee erfüllt sowohl die Kriterien der einen Diagnose, wie auch die Kriterien einer anderen möglichen Diagnose auf der Ebene der Vorstellungen – also auf der Ebene der Ideen. Wenn man im Weiteren auf der Ebene der Fakten Merkmale finden kann, durch die man die Idee objektivieren kann – dann hat man damit eine objektiv überprüfbare Idee und damit die zutreffende objektiv bestimmbare Diagnose gefunden. Man erkennt damit, dass eine allgemein gültige Erkenntnis in der Heilkunde sich aus den körperlichen Fakten ergibt (vgl. mit Kant Zitat 7 und Kant Zitat 9). Eine Erkenntnis in der Medizin ist also dann allgemein gültig, wenn die Erkenntnis durch ein Objekt bestimmt ist bzw. die Erkenntnis auf dieser Grundlage bestimmbar ist – dann ist die Erkenntnis objektiv und damit allgemein gültig – dann besteht allgemein gültige Gewissheit bezüglich dieser Diagnose. Ansonsten ist die Erkenntnis nur subjektiv gültig, weil sie nur für das erkennende Subjekt gültig ist.

Das heißt auf der Ebene der Vorstellungen, also auf der Ebene der Ideen kann man sowohl diese, wie auch jene mögliche andere Diagnose – eben auch die Differentialdiagnose – auf den Sachverhalt anwenden. Wenn dann allerdings im Rahmen der körperlichen bzw. der physischen Abklärung sich herausstellt, dass diese oder jene physischen und damit objektiven Befunde gefunden werden, dann erfüllt nur noch die tatsächliche medizinische Diagnose die Kriterien auf der Ebene der körperlichen Fakten. In diesem Fall konnten durch die Abklärung die weiteren möglichen Differentialdiagnosen ausgeschieden werden und es ist letztlich durch die Objektivierung nur noch die eine und damit die tatsächlich zutreffende Diagnose, also die objektiv bestimmte Diagnose zurückgeblieben. Mit anderern Worten: durch die Abklärung können in der Medizin in gewissen Fällen die möglichen Differentialdiagnosen ausgeschieden werden und kann damit die tatsächlich zutreffende medizinische Diagnose objektiv gültig bestimmt werden.

Da in der Psychiatrie die psychiatrischen Diagnosen lediglich auf der Ebene der Vorstellungen erkannt werden können ist eine Objektivierung einer psychiatrischen Diagnose grundsätzlich nicht möglich und daher macht es nur wenig Sinn in der Psychiatrie eine Differentialdiagnose anzugeben. Der einzige Sinn ist hier der, dass man damit indirekt aussagt, dass auch die bisher gestellte Diagnose die psychiatrische Kategorie nicht wirklich gut treffend erfüllt, man also (subjektiv) nicht klar entscheiden kann, ob man diese oder jene Diagnose als zutreffende Diagnose wählen soll bzw. man subjektiv gültig sich nicht klar entscheiden kann, ob man das klinische Erscheinungsbild unter dieser, oder unter jener Kategorie geistig auffassen soll. (vgl. mit Jaspers Zitat 2 )

Beim Diagnostizieren wird also immer zuerst auf der Ebene der Vorstellungen, also auf der Ebene der Ideen eine mögliche Idee erlangt, und kann man dann in manchen Fällen in der Medizin diese Idee auf der Ebene Tatsachen „physisch“ überprüfen. Diese Überprüfung wird als Objektivierung bezeichnet. Da man in der Psychiatrie die Diagnosen grundsätzlich nur auf der Ebene der Ideen feststellen kann, ist eine solche Objektivierung einer erlangten psychiatrischen Idee grundsätzlich nicht möglich. Man kann nämlich in der Psychiatrie die erlangte Idee – das erlangte klinische Bild – nicht „physisch“ überprüfen (vgl. mit Kant Zitat 7). Man kann in der Psychiatrie nur auf der Ebene der Ideen, durch den Vergleich der Ideen untereinander subjektiv gültig entscheiden, ob die Kriterien einer psychiatrischen Kategorie erfüllt werden. Man kann also in der Psychiatrie nur prüfen, ob das Schema der Idee – nämlich der Begriff der Idee bzw. psychiatrische Kategorie, die das Schema der psychiatrisch-diagnostischen Idee ist – dem klinischen Bild ausreichend entspricht.(vgl. mit Kant Zitat 7 und mit Jaspers Zitat)

Eine psychiatrische Idee kann also nicht „physisch“ überprüft werden, weil es sich bei der Idee um eine bloße Idee handelt, die nicht „physisch“ überprüft werden kann. Etwas was nur auf der Ebene der Ideen als systematische Einheit erscheint kann man nicht „physisch“ überprüfen, das heißt man kann eine solchen Einheit nicht objektivieren (vgl. mit Kant Zitat 8). Immanuel Kant hat aufgezeigt, dass es sich bei den psychologischen Ideen um bloße Ideen handelt (vgl. mit Kant Zitat 4) – und Karl Jaspers hat erkannt, dass die psychiatrischen Ideen (und die psychologischen und psychotherapeutischen Ideen in der Psychologie und Psychotherapie) in diesem  Sinn Ideen von Immanuel Kant sind. Tatsächlich sind also auch die psychiatrischen Ideen und die psychologischen und psychotherapeutischen Ideen bloße Ideen im Sinn von Immanuel Kant. (vgl. mit Kant Zitat 4)

Es gibt auch in der Medizin klinische Erscheinungsbilder, die nicht „physisch“ überprüft werden können, sprich, die nicht objektiviert werden können. Bekanntlich können in der Medizin die verschiedenen Schmerzsyndrome (z.B. Fibromyalgie, Somatoforme Schmerzstörung,, Spannungskopfschmerz, Migräne u.a.) und viele andere syndromale Diagnosen etwa die Diagnosen: Vegetative Dystonie, Fatigue Syndrom und andere nicht objektiviert werden. Es handelt sich also auch bei diesen diagnostischen Einheiten in der Medizin um  systematische Einheitendie in der Form der Begriffe dieser Ideen im Bewusstsein der erkennenden Person erscheinen, wenn die Fachperson den Sachverhalt durch das Schema dieser Idee auffasst (vgl. mit Kant Zitat 7).

In der Erkenntnisbasis findet sich also der tiefer liegende Grund warum man gewisse Diagnosen bzw. gewisse Differenzialdiagnosen nicht allgemein gültig bestimmen kann, sprich man diese Diagnosen nicht objektivieren kann.

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Hinweis:

Weiteres zum Begriff Differenzialdiagnose in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im Verlag tredition (April 2019).

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(letzte Änderung 08.05.2022, abgelegt unter: Diagnose, Diagnostik, Medizin, Psychiatrie, Definition)

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weiter zum Beitrag: wahrscheinliche Diagnose

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weiter zum Beitrag: funktionelle Diagnose

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weiter zum blog: Diagnose

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