regulatives Prinzip

Ein regulatives Prinzip ist ein Prinzip das den Zusammenhang von Erscheinungen nach einer Regel aufzeigt (vgl. mit Kant Zitat 26).

Man kann auch sagen:

Ein regulatives Prinzip ist ein Prinzip das den Zusammenhang von Erkenntnisobjekten, die uns nur als Gegenstand in der Idee gegeben sind, nach einer Regel aufzeigt.

Daher kann man den Sachverhalt durch dieses regulative Prinzip, weil dies die systematischen Einheit der Idee ist (vgl. mit Kant Zitat 3b ), dem entsprechenden Sinn nach verstehen und erklären.

Mit anderen Worten: es ist dies also ein nützliches Konzept durch das man den Sachverhalt auf diese Art und Weise sinnvoll verstehen und erklären kann.

Allerdings kann ich das Zutreffen dieses Prinzips auf den konkreten Sachverhalt nicht allgemein gültig beweisen, weil es auf einer bloßen Idee beruht (vgl. mit Kant Zitat 3b).

Weil ein solches Prinzip den Zusammenhang der Erscheinungen auf der Ebene der Vorstellungen bzw. auf der „Ebene der Ideen“ sinnvoll „regelt“, ist die Bezeichnung „regulativ“ von Immanuel Kant sehr treffend gewählt worden.

So ist zum Beispiel in der Heilkunde und hier in der Psychiatrie der Begriff der „natürlichen Krankheitseinheit“ Schizophrenie der Begriff einer diagnostischen Einheit, die durch ein regulatives Prinzip (vgl. mit Kant Zitat 3b) erkannt wird bzw. die dadurch erklärt wird.

Es hat nämlich Eugen Bleuler geglaubt, dass es tatsächlich eine solche natürliche Krankheitseinheit gibt, und er hat ferner geglaubt, dass in Zukunft der Begriff der Krankheitseinheit Schizophrenie wird „aufgelöst“ werden können (vgl. mit Bleuler Zitat 2), weil man hier eine biologische Ursache dieser psychischen Störung finden wird, durch die die Krankheitseinheit und damit die psychiatrische Diagnose biologisch begründet bestimmt werden kann (vgl. mit Bleuler Zitat 2).

Oder es ist eine biologische Theorie in einem Bereich des Wissens der Naturwissenschaft ein regulatives Prinzip durch das ein gewisser Zusammenhang von Erscheinungen auf eine gewisse Art und Weise erklärt wird.

So ist etwa in der Medizin die biologische Theorie in Bezug auf die Funktion des Immunsystems ein regulatives Prinzip das die Abwehrfunktion des Organismus, etwa in Bezug auf Bakterien und Viren ein solches Prinzip.

Oder es ist in der Psychiatrie eine biologische Theorie, wie sie in der biologischen Psychiatrie entwickelt worden ist, dass z. B. bei einer Schizophrenie die Störung auf der Ebene der Rezeptoren der Nervenzellen stattfindet – und dies die Ursache dieser psychischen Störung ist – ein regulatives Prinzip durch das der Zusammenhang der psychischen Phänomene bzw. der psychopathologischen Phänomene mit gewissen biologischen Ursachen verstanden und erklärt werden kann.

Oder es ist eine psychologische Theorie in der Psychologie (und in der Psychotherapie) ein regulatives Prinzip durch das ein gewisser Zusammenhang von psychischen Erscheinungen (psychischen Phänomenen) in der Psychologie (Psychotherapie) auf eine gewisse Art und Weise verstanden und erklärt wird.

Ebenso ist auch ein psychiatrisches Konzept in der Psychiatrie ein regulatives Prinzip.

Oder es ist ein psychotherapeutisches Konzept ein regulatives Prinzip.

So erklärt zum Beispiel eine Theorie von Sigmund Freud unter Verwendung der Begriffe des Unbewussten und der Sexualität den Zusammenhang von gewissen psychischen Phänomenen mit sexuellen Trieben nach der Analogie der Erfahrung gemäß einer gewissen Regel. (vgl. mit Kant Zitat 26)

In gleicher Weise erklären z.B. die Theorien von Alfred Adler, von C. G. Jung oder sonstige psychologische Theorien, etwa die der Verhaltenstherapie, oder die Theorien der Soziotherapie usf. den Zusammenhang von psychischen Erscheinungen in Folge von gewissen Ursachen nach gewissen Regeln bzw. nach gewissen Prinzipien.

Auch eine biologische Theorie etwa eine biologische Theorie in der biologischen Psychiatrie ist ein regulatives Prinzip im Sinne von Immanuel Kant, insofern durch ein solches Prinzip bzw. durch eine solche Theorie (Idee) der Zusammenhang von biologischen Parametern auf der Ebene der Nervenzellfunktion bzw. auf der Ebene der neuronalen Funktion mit psychischen Phänomenen durch die Theorie nach einer „Regel“ erklärt wird.

So erklärt man z.B. durch eine biologische Theorie in der biologischen Psychiatrie wie durch Veränderungen an den Rezeptoren der Nervenzellen gewisse psychische Phänomene auftreten, etwa Phänomene wie sie bei der psychischen Störung zu beobachten sind, die man als Schizophrenie bezeichnet, oder wie die zu geringe Konzentration von Transmittern im Bereich der Synapsen mit einer depressiven Störung bzw. Depression korreliert. Durch derartige Theorien bzw. regulative Prinzipien kann man das Auftreten der jeweiligen Störung auf eine gewisse Art und Weise erklären – aber die Ursache an sich kann man nicht objektiv gültig bestimmen, weil es sich bei dieser Einheit um die systematische Einheit einer bloße Idee handelt (vgl. mit Kant Zitat 8). Oder man kann auch sagen: weil es sich dabei um eine komplexe Ursache handelt, die nur durch die systematische Einheit der (bloßen) Idee (vgl. mit Kant Zitat 7) erkannt werden kann.

Man kann also nur über die Verhältnismäßigkeit der Glieder der Kette zueinander eine Aussage treffen – eine Bestimmung der Glieder bzw. der Faktoren der Ursache ist nicht möglich (vgl. mit Kant Zitat 26).

Ein regulatives Prinzip kann also nicht „physisch“ bzw. biologisch bestimmt werden, weil es sich auf eine Einheit gründet, die als systematische Einheiten im Bewusstsein der erkennenden Person als der Begriff einer bloßen Idee – somit jenseits der physis bzw. „meta-physisch“ auf der Ebene der Ideen im Bewusstsein der erkennenden Person erscheint (vgl. mit Kant Zitat 7 und Kant Zitat 8).

In diesem Sinn gibt es also auch in der körperlichen Medizin die verschiedensten regulativen Prinzipien.

Es gibt in der Medizin z.B. die Entzündungstheorie, die den Zusammenhang von körperlichen Erscheinungen (Phänomenen) erklärt, etwa wie die Prostaglandine sich bei einer Entzündung auswirken und zur Schwellung und Rötung usf. führen.

Oder die Theorie in der Neurologie, die erklärt wie die Antiepileptika eine Erhöhung der Krampfschwelle, somit ein neurologisches Phänomen beeinflussen und damit die Anfallsgefahr / Anfallsbereitschaft reduzieren, oder andere Theorien dieser Art. Zum Beispiel die Theorie, dass eine Substanz sich auf das Innenohr nach einem Hörsturz vorteilhaft auswirkt und damit die Symptome nach dem Hörsturz vermindert werden usf.

Durch all diese Theorien kann man den Zusammenhang von Erscheinungen entweder von körperlichen mit psychischen Erscheinungen, oder von psychischen mit anderen psychischen Erscheinungen nach der Analogie der Erfahrung in qualitativer Hinsicht erklären und dadurch verstehen.

All diese Theorien hat man auf der Grundlage der Erfahrung – somit empirisch begründet – erkannt und entwickelt, weil man dabei gewisse Beobachtungen gemacht hat bzw. gewisse klinische Erfahrungen gemacht hat.

Unterschied zwischen einem bestimmbaren Prinzip und einem regulativen Prinzip

Bei einem Prinzip das sich auf demonstrierbare Objekte bezieht, also auf Tatsachen bezieht, kann man die Verhältnismäßigkeit der Glieder der Kette zueinander nicht nur dem Verhältnis nach, sondern auch quantitativ bestimmen (vgl. mit Kant Zitat 26) – dies ist möglich, weil ein solcher Sachverhalt gewiss ist. Dies ist z.B. in der Mathematik oder in der Geometrie der Fall. Es gilt z.B. dass die 3 Winkel eines Dreiecks zusammen immer 180 Grad haben. Man kann immer den 3. Winkel bestimmen – wenn man 2 Winkel des Dreiecks kennt.  In der Medizin und in der Psychiatrie – und auch in der Psychologie und Psychotherapie kann man nur Verhältnisse zwischen den Gliedern einer Kette nach einer Regel, gemäß der Analogie der Erfahrung, angeben (vgl. mit Kant Zitat 26). Im erst genannten Fall gibt es also ein Gesetz im zweitgenannten Fall nur eine Regel.

Bei einem  regulativen Prinzip, das sich auf mentale Objekte bezieht, kann man nur die Verhältnismäßigkeit der Glieder zueinander angeben. Man kann z.B. nicht quantitativ nach einem bekannten Maßstab feststellen wie irgendeine Substanz (etwa ein Psychopharmakon) auf ein gewisses psychisches Phänomen sich auswirken wird.

Man kann z.B. nicht sagen, dass der Konsum von einer gewissen Menge Alkohol bei einer bestimmten Person dieses oder jenes psychischen Phänomen von diesem oder jenem quantitativen Grad bewirken wird. Trotzdem kann man auf der Grundlage der Erfahrung sagen, dass eine gewisse Menge Alkohol wahrscheinlich eine Wirkung in dieser oder jener Art Hinsicht qualitativ zur Folge haben wird – also z.B. eine mehr oder weniger starke Berauschung als Folge des Alkohols auftreten wird (und dadurch zum Beispiel die Lenkereignung eingeschränkt ist).

Solches Wissen um die qualitativen Zusammenhänge der Erscheinungen ist sehr nützlich. Man kann also sagen, dass die regulativen Prinzipien nützlich und daher wertvoll sind. Man kann damit in der Praxis die verschiedensten Zusammenhänge der Erscheinungen erklären. Man kann ausgehend von schon bestehenden Vorstellungen eine Theorie entwickeln und man kann auf diese Art und Weise auch neue Modelle entwickeln.  Damit kann man die Zusammenhänge auf der körperlichen und somit auf der physischen Ebene erklären. Und man kann damit in der Psychiatrie die Zusammenhänge zwischen den körperlichen Gegebenheiten und den körperlichen Phänomenen und den psychischen Phänomenen erklären – wie dies beispielsweise bei den biologischen Theorien in der Psychiatrie, hier insbesondere in der biologischen Psychiatrie der Fall ist.

In diesem Sinn kann man durch regulative Prinzipien in vielen Bereichen die Zusammenhänge der Erscheinungen und der Gegebenheiten erklären und man findet in Bezug auf die Ursache dieser Erscheinungen und Gegebenheiten, dass es sich in der Regel dabei um eine komplexe Ursache handelt. Es ist dies in der Regel also eine Ursache, die von mehreren bis vielen Faktoren gebildet wird.

Nach dem eine Idee grundsätzlich nicht konstitutiv (vgl. mit Kant Zitat 3a) sondern nur regulativ ist, kann man jedoch nicht sicher sein welcher Effekt eintreten wird, ob ein sehr geringer oder fast gar kein Effekt oder ein starker Effekt in einem konkreten Fall eintreten wird, oder, ob unter Umständen gar keine Effekt oder ein völlig anderer, unerwarteter Effekt eintreten wird.

Daher soll man eine solche Idee bzw. eine solche Theorie bzw. ein regulatives Prinzip nur relativistisch verwenden. Man soll also solches Wissen in der Schwebe halten – wie dies der Philosoph und Psychiater Karl Jaspers formuliert hat (vgl. mit Jaspers Zitat 2). Man soll sich dessen bewusst sein, dass es sich hierbei um beschränktes Wissen handelt das subjektives Wissen ist. Womit deutlich wird, dass das Wissen das in der jeweiligen Wissenschaft diesbezüglich erlangt werden kann ebenfalls beschränkt ist.

Letztlich kann man mit solchen Prinzipien die Grenzen der Erfahrung nicht überschreiten (vgl. mit Kant Zitat 2) – sondern soll man sich aller Prinzipien bedienen. Man soll also alle relevanten Prinzipien – somit alle relevanten Theorien – in einem konkreten Fall anwenden – worunter der Nutzen bzw. der Zweck das vornehmste Prinzip der Einheit ist, um der Natur bis in ihr Innerstes nachzugehen, niemals aber die Grenzen überfliegen, außerhalb welcher für uns nichts ist als leerer Raum. (vgl. mit Kant Zitat 2)

Man kann also über das Zutreffen der verschiedenen Vorstellungen und Theorien zueinander nur  qualitative Aussagen machen (vgl. mit Kant Zitat 26) – man soll daher in der Praxis aber alle relevanten, alle möglichen Prinzipien anwenden und je nach Sachverhalt diese gemäß der eigenen vernünftigen Überlegung berücksichtigen. Man soll also alle relevanten Theorien / Modelle, alle Arten des Verstehens auf den konkreten Fall anwenden und überlegen welches Prinzip in der Anwendung im Moment das wesentlichste ist.  Man erkennt damit die große Bedeutung und den großen Nutzen den all diese Theorien haben – um in der Heilkunde – das höchste Ziel – den Zweck die Beförderung der Gesundheit bzw. nach Möglichkeit die Beförderung der Heilung bestmöglich zu erreichen. (vgl. mit Kant Zitat 2)

Tatsächlich soll man in der Medizin und auch in der Psychiatrie in einem konkreten Fall alle möglichen Vorstellungen, Modelle und Theorien – wie sie sich aus der „Natur“ der Sache und aus den individuellen Gegebenheiten ergeben – anwenden und auf der geistigen Waagschale gegeneinander gewichten – und überlegen – was am besten in therapeutischer oder sonstiger Hinsicht zu tun ist. Dabei soll man sich aber der Grenzen dieser Spekulationen mit Hilfe dieser Ideen / Theorien / Modelle bewusst sein – und soll man solche theoretischen Erkenntnisse nicht überschätzen, das bedeutet man soll solches Wissen nur regulativ verwenden – denn konstitutiv ist solches Wissen nicht. (vgl. mit Kant Zitat 3a)

Mit anderen Worten: man soll sich also der Vernunft – oder man kann auch sagen des guten alten Hausverstandes – bedienen und überlegen und abschätzen was am besten zu tun ist.

Geht man unkritisch an einen Sachverhalt heran und überschätzt man z.B. die subjektive Erkenntnis (vgl. z.B. mit dem Beitrag über den Exorzismus), die man auf der Grundlage von solchen Überlegungen (Ideen / Theorien / Modelle) gewonnen hat und gebraucht man eine Idee konstitutiv – dann wird diese Erkenntnis und die daraus abgeleiteten Handlungen nicht die bestmögliche Handlung sein. Dann ist die Gefahr groß, dass die Erkenntnis und damit die daraus resultierenden Handlungen nicht von Vorteil sind. (vgl. mit Kant Zitat 3)

In dieser Hinsicht soll man in der Medizin und in der Psychiatrie – aber auch in allen anderen Bereichen des menschlichen Erkennens – die verschiedenen Vorstellungen in der Theorie und in der Praxis anwenden und auf der Ebene der Vorstellungen (subjektiv) prüfen was von Relevanz und in welchem Ausmaß es von Relevanz ist – da eine objektive Prüfung gar nicht möglich ist – und sodann soll man ausgehend vom aktuellen Stand entscheiden was am besten zu tun ist.

Dabei soll man sich aber der Grenzen der Erkenntnis bewusst sein und nicht über das Ziel hinausschießend agieren.

Wenn eine Person das verfügbare Wissen in diesem Sinn kritisch nützt und anwendet, dann kann man sagen, dass diese Person im Sinne der Aufklärung aufgeklärt ist. (vgl. mit Kant Zitat 11)

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Hinweis:

Weiteres über regulative Prinzipien und deren Nutzen  in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im Verlag tredition, April 2019

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(letzte Änderung 03.04.2023, abgelegt unter: Definition, Medizin,  Medizinische Diagnostik, philosophische Begriffe, Prinzip, Psychiatrie, regulatives Prinzip)

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