Der konstitutive Gebrauch der Ideen wirkt sich antikommunikativ aus, 2. Teil

Der konstitutive Gebrauch der Ideen in der Psychiatrie wirkt sich nicht nur im Umgang mit den Patienten antikommunikativ aus, sondern auch in der fachlichen Diskussion.

Wenn eine Fachperson in der Psychiatrie (Psychologie, Psychotherapie) davon überzeugt ist, dass es sich bei einer fachlichen Sichtweise um eine allgemein gültige, also um eine objektive Erkenntnis handelt, so ist sie im selben Moment für eine alternative, davon abweichende Sichtweise nicht aufgeschlossen. Das heißt, der konstitutive Gebrauch der psychiatrischen (psychologischen, psychotherapeutischen) Ideen führt unmittelbar dazu, dass andere Sichtweisen nicht, oder nicht angemessen beachtet und entsprechend auch nicht angemessen berücksichtigt werden.

Eine daraus resultierende weitere nachteilige Folge des konstitutiven Gebrauchs einer Idee ist, dass die fachliche Diskussion unter Berücksichtigung der verschiedensten Aspekte ausbleibt. Man kann sagen, dass durch die falsche Verwendung der psychiatrischen Ideen die Dialektik in der Psychiatrie zum Stillstand bringt. Es fällt einem dann nichts mehr ein, wenn man überzeugt ist die Sache vollständig erkannt zu haben. Man hat in diesem Fall keine weiteren Assoziationen. Dadurch bedingt kommt das psychiatrische Denken zum Stillstand.

Man sollte also eine solche Idee nicht als absolute Erkenntnis anzusehen, sondern als relative. Man sollte also der Natur und hier auch den verschiedenen Erscheinungen nach allen „möglichen Prinzipien der Einheit“ bis in ihr Innerstes nachgehen. (vgl. mit Kant Zitat 2)

Wenn an Stelle dessen ein einseitiges, nicht gerechtfertigtes, Pseudo-Wissen ein quasi faktisches Wissen dominiert, das nur den Erkenntniswert eines subjektiven „Fürwahrhaltens“ hat und dieses Wissen irrtümlich als objektives Wissen angesehen wird, weil von körperlichen Merkmalen, etwa von Nervenzellen, Transmittern, Rezeptoren usf. die Rede ist (vgl. mit Kant Zitat 9), so führt eine solche falsche Sichtweise zu falschen Schlussfolgerungen.

Konkret hat dies beispielweise im Rahmen der fachlichen psychiatrischen Diskussion zur Folge, dass etwa gewisse psychische Störungen nur noch unter biologischen Gesichtspunkten betrachtet und berücksichtigt werden – so, als ob es sich dabei um medizinische Fakten handelt, die auf körperlicher Grundlage festgestellt werden.

In gleicher Weise kann auch eine psychologische Sichtweise überbewertet werden – oder es kann sonst eine vermutete Ursache und daraus resultierende Sichtweisen überbewertet oder irrtümlich verabsolutiert werden.

Tatsächlich handelt es sich in der Psychiatrie bei den Vorstellungen bezüglich der zu Grunde liegend gedachten Ursachen um modellhafte hypothetische Vorstellungen (Theorien), die zwar unter Umständen durch gewisse statistische Befunde da und dort in einem gewissen Umfang statistisch unterlegt werden können. Bei denen man in der Praxis jedoch in keinem einzigen Fall das Zutreffend dieser Sichtweise durch faktische Befunde beweisen kann. Mit anderen Worten im Zweifelsfall kann man nicht durch physische bzw. durch biologische Befunde einen allgemein gültigen Beweis liefern durch den man die psychiatrische Diagnose allgemein gültig bestimmen kann. In diesem Sinn kann man weder eine biologische Ursache noch eine psychologische Ursache oder eine sonstige Ursache in Bezug auf das Vorliegen einer psychischen Störung allgemein gültig nachweisen.

Das heißt einen demonstrierbaren Beweis im Hinblick auf die Ursache der psychischen Störung kann man in der Psychiatrie nicht liefern, so wie dies bei vielen gesundheitlichen Störungen (Krankheiten) in der Medizin und damit bei vielen medizinischen Diagnosen möglich ist.

Der konstitutive Gebrauch der psychiatrischen Ideen verhindert also, dass die psychiatrischen Ideen flexibel und relativistisch verwendet werden. (vgl. auch mit Kant Zitat 4)

Immanuel Kant spricht vom regulativen Gebrauch der Ideen (vgl. mit Kant Zitat 3a) und er weist damit auf die Relativität bzw. auf die relative Gültigkeit dieser Erkenntnisse hin. (vgl. mit Kant Zitat 4)

Der konstitutive Gebrauch der Ideen in der Psychiatrie führt zu einer einseitigen und reduzierten Sichtweise, die sich nachteilig auf das kreative Sehen von anderen, wesentlichen Zusammenhängen und Ursachen auswirkt, mit der Folge, dass diese im Weiteren auch nicht angemessen berücksichtigt werden. In dieser Hinsicht hat sich die Oprerationalisierung der der psychiatrischen Klassifikationen zweifelsfrei nachteilig ausgewirkt, weil damit in der Psychiatrie der Anschein erweckt worden ist, dass es bei diesen diagnostischen Einheiten um quasi faktische diagnostische Einheiten handelt, so wie es in der Medizin viele davon gibt. Man kann also sagen dass die Operationalisierung der psychiatrischen ICD-Klassifikation und der DSM Klassifikation den konstitutiven Gebrauch der Ideen in der Psychiatrie befördert hat.

In dieser Hinsicht hat sich das fehlende Bewusstsein bezüglich der Relativität der psychiatrischen (psychologischen, psychotherapeutischen) Erkenntnisse als Folge des falschen Verstehens der psychiatrischen (psychologischen und psychotherapeutischen) Ideen sich nachteilig ausgewirkt.

Ein vermeintliches Als-ob-Wissen, in Bezug auf gewisse (zugrunde liegend gedachte biologische,  psychologische oder sonstige Ursachen) hat dazu geführt, dass die dynamische, relativistische Sichtweise und die daraus resultierenden Diskussion auf der fachlichen Ebene in der Psychiatrie der Gegenwart (Stand 2013) weitgehend unterbleibt, und es macht sich dies nicht nur in der psychiatrischen Praxis, sondern auch im Rahmen der fachlichen Fortbildungen und Diskussion, etwa bei Psychiatriekongressen nachteilig bemerkbar.

Die Hoffnung, dass auf statistischem Wege biologische, psychologische oder sonstige objektive Ursachen (etwa genetische Faktoren) nachgewiesen werden können führt also nicht selten dazu, dass eine relativistische bzw. regulative und damit die relativistische Sichtweise der Zusammenhänge unterbleibt.

Daher kann man berechtigterweise sagen, dass der konstitutive (= unreflektierte, verabsolutierende)  Gebrauch der Ideen in der Psychiatrie (Psychologie, Psychotherapie) sich in der fachlichen Diskussion nachteilig und anti-kommunikativ auswirkt und diese Entwicklungen der Psychiatrie und den psychiatrischen Patienten schadet. Man kann also berechtigt sagen, dass die falsche Verwendung der Ideen in der Psychiatrie sich nachteilig auf die Kommunikation des Arztes mit dem Patienten und auch auf die Diskussion unter den Fachpersonen auswirkt.

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