Erkennen in der Psychiatrie – Gebrauch der Ideen in der Psychiatrie und Psychologie

Das Erkennen in der Psychiatrie geht vor sich wie das menschliche Erkennen überhaupt.

Immanuel Kant schreibt in der „Kritik der reinen Vernunft„: „So fängt denn alle menschliche Erkenntnis mit Anschauungen an, geht von da zu Begriffen, und endigt mit Ideen“ (siehe: Kant Zitat 1).

Auf diese Art und Weise erlangen wir im Alltag, im privaten und im beruflichen Bereich, in der Wissenschaft, ja in allen Bereichen unsere Erkenntnisse.

Betrachtet man die Erkenntnisse so findet man gewisse Erkenntnisse, die an der Erfahrung „physisch“ überprüft werden können, ob sie richtig sind oder nicht, bei anderen Erkenntnissen ist eine solche „physische“ Überprüfung nicht möglich. Bei vielen Erkenntnissen können wir nur auf der Ebene unserer Vorstellungen durch Überlegung „prüfen“ ob eine Erkenntnis zutrifft oder nicht.

Immanuel Kant hat aufgezeigt, dass wir es beim Erkennen mit Erkenntnissen zu tun haben, die durch die Erfahrung hinreichend bewährt sind, deren Richtigkeit wir jedoch nicht am Probierstein der Erfahrung prüfen können. (vergl. Kant Zitat 10)

In seiner Schrift: „Kritik der reinen Vernunft“ hat Immanuel Kant die Zusammenhänge und die Grenzen des menschlichen Erkennens aufgezeigt. Seither ist es möglich zu „wissen“, was in welchem Ausmaß gewusst werden kann, und wo die Grenzen unseres Wissens liegen. Seither ist es möglich zu wissen, wo das objektive „Wissen“ aufhört und wo der „Glaube“, das subjektive Wissen bzw. das subjetive „Fürwahrhalten“ anfängt (vgl. mit Kant Zitat 9). Wir können also seither wissen von welcher Art und von welchem Umfang das jeweilige Wissen ist.

In der Zeit vor der Aufklärung war noch nicht klar in welchem Umfang wir etwas objektiv wissen können, und wo wir etwas nur subjektiv wissen, und war daher in jener Zeit der unreflektiert dogmatische Gebrauch der Ideen noch weitgehend üblich. Erst im späten Mittelalter fand das kritische Hinterfragen der Zusammenhänge mehr und mehr Eingang in die Praxis und Wissenschaft.

Es ist erstaunlich, dass in der Psychiatrie und  Psychologie insbesondere in der psychiatrischen Wissenschaft, im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion, bis dato nur ausnahmsweise reflektiert und beachtet wird, auf welcher Grundlage die psychiatrischen und psychologischen Erkenntnisse stehen.

Daher ist es in der Psychiatrie und Psychologie (Psychotherapie) auch nicht üblich, zu beachten und zu berücksichtigen welchen Stellenwert die psychiatrischen Erkenntnisse haben.

Mit anderen Worten es ist erstaunlich, dass in der Psychiatrie und Psychologie bis dato der relative bzw. relativierte Gebrauch der Ideen / Kategorien in der Praxis und Wissenschaft nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist, und dass bis dato immer noch der dogmatische unreflektierte Gebrauch der Ideen / Kategorien an den meisten Orten praktiziert wird.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Wilhelm Griesinger, der Begründer der ersten psychiatrischen Nosologie im deutschtsprachigen Raum, sich der Relativität der psychiatrischen Erkenntnisse bereits bewusst war, wie dies aus seinen Ausführungen in seinem „Lehrbuch Pathologie und Therapie der Psychischen Krankheiten“ aus dem Jahr 1867 ersichtlich ist. (siehe dazu das Griesinger Zitat)

In der psychiatrischen Fachliteratur wird jedoch – abgesehen von Ausnahmen – zu nennen ist hier Karl Jaspers – der wiederholt Immanuel Kant zitiert (vgl. mit den Jaspers Zitaten) – nicht auf die Relativität der psychiatrischen (psychologischen) Erkenntnisse hingewiesen und werden diese Erkenntnisse daher in der Praxis und Wissenschaft oftmals als konstitutive Erkenntnisse angesehen.

Kurz gesagt es werden auch heute noch die psychiatrischen und auch die psychologischen und auch die psychotherapeutischen Ideen vielfach falsch verwendet. (vgl. mit Kant Zitat 3a)

Es ist zwar so, dass man, um überhaupt psychische Störungen denkend erfassen zu können, man sie mit Begriffen, also dogmatisch benennen muss, um sie dadurch geistig auffassen zu können. Man muss gleichsam eine präformierte Idee auf einen psychischen Sachverhalt projizieren, um sodann zu entscheiden, ob die Idee auf den Sachverhalt zutrifft oder nicht.  (vgl. mit dem Jaspers Zitat)

In weiterer Folge sollte man jedoch, um dem realen Sachverhalt möglichst gerecht zu werden, die subjektive Erkenntnis angemessen relativieren. Das heißt man sollte sich der Beschränktheit und der Relativität der psychiatrischen (psychologischen, psychotherapeutischen) Erkenntnisse bewusst sein. Das könnte man dann den aufgeklärten, kritischen Gebrauch der psychiatrischen (psychologischen, psychotherapeutischen) Ideen nennen. (vgl. mit alle Jaspers Zitate)

Damit also auf kritische Art und Weise in der psychiatrischen Praxis und Wissenschaft „erkannt“ (diagnostiziert) und in weiterer Folge gehandelt wird, muss die erkennende Person sich des Ursprungs der Ideen bewusst sein, und wird sie sich dann auch der damit verbundenen Relativität der Erkenntnisse bewusst sein.

Mit anderen Worten man sollte wissen, auf welcher Grundlage die psychiatrischen (psychologischen) Ideen entstanden sind bzw. entstehen, damit man sie in weiterer Folge angemessen verwendet. Man sollte sich dessen bewusst sein, dass psychiatrisches Wissen relatives Wissen ist.

In gleicher Weise ist auch psychologisches Wissen und auch das Wissen, wie es in der Psychotherapie gewonnen wird relatives Wissen.

Man sollte also psychologische Ideen grundsätzlich nur relativistisch gebrauchen, weil eine psychologische Idee nur relativ gültig ist.

Damit ein solches Denken Eingang in die psychiatrische Praxis findet, müssen also die zu Grunde liegenden Zusammenhänge zuerst in der psychiatrischen (psychologischen, psychotherapeutischen) Lehre aufgezeigt und vermittelt werden, damit sie sodann in der jeweiligen Praxis und Wissenschaft Beachtung und Berücksichtigung finden.

Werden die Erkenntnisgrundlagen in diesen Erkenntnisbereichen nicht beachtet, und werden die Grenzen, die mit Hilfe der psychiatrischen Konzepte gewonnen werden in der psychiatrischen Praxis und Wissenschaft nicht berücksichtigt, so führt dies – wie Immanuel Kant es formuliert hat zu einem glänzenden aber trüglichen Schein, zu Überredung und eingebildetem Wissen, hiermit aber zu ewigen Widersprüchen und Streitigkeiten. (vgl. mit Kant Zitat 3)

(letztes update 6.7.2011)

…………………………………………………………..

weiter zum Beitrag: Missverständnis einer psychiatrischen Idee

……………………………………………………………

weiter zum Beitrag: Die Bewegung im Denken in der Psychiatrie resultiert aus der Dialektik

…………………………………………………………….

weiter zum Beitrag: richtiger und falscher Gebrauch der medizinischen und psychologischen Erkenntnisse

……………………………………………………………..

weiter zur Seite: medizinsche Diagnose – psychiatrische Diagnose

…………………………………………………………….Sorry, this entry is only available in Deutsch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert