Ganze als Idee

Der Begriff: das Ganze als Idee (vgl. mit Jaspers Zitat), wie ihn Karl Jasper in seinem Buch: „Allgemeine Psychopathologie“ (ab der 4. Auflage) verwendet, entspricht dem Begriff der systematischen Einheit (der Idee) von Immanuel Kant (vgl. mit Kant Zitat 7 aus der „Kritik der reinen Vernunft„).

Man kann auch sagen:

Das Ganze als Idee ist der Begriff der Idee, der als systematische Einheit (der Idee) im Bewusstsein der erkennenden Person erscheint, falls diese die Merkmale der Idee (vermittelt) durch das Schema (der Idee) geistig auffasst (vgl. mit Kant Zitat 7).

Oder man kann – wie Karl Jaspers schreibt auch sagen: Wenn ich das Ganze als Idee auch nicht geradezu erkennen kann, so nähere ich mich ihm – mit Kants Worten – durch das “Schema” der Idee. (vgl. mit Jaspers Zitat)

Wie man sich überzeugt nähert man als Fachperson in der Psychiatrie sich dem Ganzen der diagnostischen Einheit durch den Begriff der transzendentale Idee.

Oder man kann auch sagen dass die Fachperson in der Psychiatrie sich der psychiatrischen Einheit in der psychiatrischen Diagnostik – und auch in der psychiatrischen Wissenschaft – durch eine Idee im Kantischen Sinne (vgl. mit Jaspers Zitat 6) sich der psychiatrischen Einheit nähert.

Der Begriff das Ganze als Idee ist also der Begriff einer bloßen Idee im Sinne von Immanuel Kant.

Demgemäß erhebt die psychiatrische Fachperson durch die Projektion ihrer psychiatrischen Ideen – auf den psychischen Sachverhalt – den psychischen Befund bzw. den psychiatrischen Befund.

Die Fachperson kann auf diesem Weg also die einzelnen (typischen) psychopathologischen Phänomene und auch den ganzen (typischen) psychischen Symptomenkomplex der psychischen Störung psychopathologisch begründet bestimmen.

Dadurch kann die psychiatrische Fachperson durch ihr psychiatrisches Denken also den passenden Typ – durch die Phänomenologie bzw. durch die Psychopathologie begründet – finden und subjektiv gültig bestimmen.

Mit anderen Worten: so kann der Psychiater/ die Psychiaterin etwa in Bezug auf das fragliche Vorhandensein einer psychischen Störung vom Typ der Schizophrenie die zutreffende Krankheitseinheit durch die denkende Anschauung unter Führung von Ideen (Karl Jaspers) durch den psychischen Symptomenkomplex subjektiv gültig erkennen und bestimmen (vgl. mit Jaspers Zitat),

Oder man kann auch sagen: es kann die Fachperson durch das Vergleichen und Gewichten ihrer Ideen (Ponderieren der Ideen –  Immanuel Kant) – somit durch die philosophische Methode der Dialektik – die diagnostische Einheit subjektiv gültig erkennen und dadurch die psychiatrische Diagnose (subjektiv gültig) bestimmen (vgl. mit Jaspers Zitat).

Man kann in der Psychiatrie als Fachperson durch das psychopathologische Denken auf Grundlage der psychiatrischen Klassifikation – etwa mit der psychiatrischen ICD-10 Klassifikation oder mit der DSM-5 Klassifikation – durch die jeweilige psychiatrische Kategorie die psychische Störung und damit die psychiatrische Diagnose (subjektiv gültig) bestimmen. Dabei zeigt die zugehörige psychiatrische Kategorie die charakteristischen Merkmale des (diagnostischen) Schemas der (diagnostischen) Idee (vgl. mit Jaspers Zitat und Kant Zitat 7).

In der Psychiatrie kann man also das Ganze als Idee nicht geradezu erkennen, wie Karl Jaspers treffend geschrieben hat, sondern sich auf diese Art und Weise dem Ganzen als Idee durch das „Schema“ der Idee nur nähern.

Damit wird klar, dass Jaspers den Sachverhalt in Bezug auf das Erkennen bzw. Diagnostizieren in der Psychiatrie richtig erkannt hat und treffend in seinem Buch „Allgemeine Psychopathologie“ (ab der 4. Auflage) sinngemäß schreibt, dass in der Psychiatrie die diagnostischen Einheiten nur in Bezug auf Typen – (Anmerkung: auf der „Ebene der Ideen“) – erkannt und daher nur subjektiv gültig bestimmt werden können, wohingegen in der Medizin viele diagnostischen Einheiten in Bezug auf Gattungen – (auf auf der „Ebene der Objekte“) – objektiv gültig bzw. allgemein gültig bestimmbar sind

(vgl. mit Jaspers Zitat).

Es hat der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers also den großen Unterschied zwischen der Psychiatrie und einem großen Bereich der Medizin richtig erkannt – wobei hier der Teil der Medizin gemeint ist, in dem die diagnostischen Einheiten durch faktische Einheiten begründet objektiv gültig bestimmt werden können –  wohingegen in der Psychiatrie die diagnostischen Einheiten nur durch kantische Ideen bzw. nur durch die Schemata der Ideen bestimmt werden können (vgl. mit Jaspers Zitat).

Man kann deswegen auch sagen, dass in der Psychiatrie ein einzelnes psychisches Phänomen oder ein psychopathologisches Phänomen und auch der ganze psychische Symptomenkomplex der psychischen Störung nur durch die systematischen Einheit der Idee erkannt werden kann – die die Fachperson auf den psychischen Sachverhalt projiziert.

Deswegen hat Emil Kraepelin die Möglichkeit der Diagnostik in der Psychiatrie überschätzt bzw. haben mit ihm viele andere Fachpersonen die Möglichkeit des Diagnostizierens in der Psychiatrie überschätzt (vgl. mit Kraepelin Zitat 1 und mit den anderen Kraepelin Zitaten).

Wegen des großen Unterschieds in der Grundlage des Wissens können in der Psychiatrie die Erkenntnisse – so wie in der Psychologie – nur auf der „Ebene der Ideen“ und daher nur subjektiv gültig erkannt und bestimmt werden bzw. handelt es sich daher in diesen Bereichen um subjektives Wissen das beschränktes Wissen ist.

Man kann auch sagen: weil man die psychischen Störungen auf Grundlage der Phänomenologie durch die psychischen Symptome und psychischen Phänomene bzw. durch die psychopathologischen Phänomene mit Hilfe der Schemata der Ideen in der Diagnostik in Bezug auf definierte Typen erkennt und bestimmt, ist es nicht möglich diese allgemein gültig zu bestimmen (vgl. mit Jaspers Zitat).

Weil es also den großen Unterschied in Bezug auf die Erkenntnisobjekte (vgl. mit Kant Zitat 7) gibt und daher den großen Unterschied zwischen der Psychiatrie und einem großen Teilbereich der Medizin, sollten die daraus resultierenden Konsequenzen in der Praxis, Ausbildung und in der psychiatrischen Wissenschaft beachtet und berücksichtigt werden damit man als Psychiater nicht in Antinomien (Karl Jaspers – vgl. mit Jaspers Zitat); oder in den Worten von Immanuel Kant nicht in ewige Widersprüche und Streitigkeiten gerät. (vgl. mit Kant Zitat 2a)

Damit wird deutlich, dass man in der Psychiatrie in der psychiatrischen Praxis und in der psychiatrischen Wissenschaft- ja selbst in der biologischen Psychiatrie – eine psychiatrische Idee immer nur mit der philosophischen Methode der Dialektik (durch das Vergleichen und Gewichten der Vorstellungen/Ideen – somit nur auf der „Ebene der Ideen“) – durch das Schema der Idee angenähert erkennen und nur subjektiv gültig bestimmen kann, wohingegen man in der Medizin viele diagnostische Einheiten auf der „Ebene der Objekte“ bzw. auf der „Ebene der Fakten“ durch objektive Befunde allgemein gültig bestimmen kann.

In Folge des großen Unterschieds der Psychiatrie im Vergleich zum genannten Teilbereich der Medizin wird deutlich wie wichtig in der Psychiatrie die Methodenbewusstheit ist, worauf Jaspers wiederholt  hingewiesen hat.

Und ferner wird damit auch klar warum es für die Psychiatrie als Wissenschaft problematisch ist, wenn sie den Unterschied in der Erkenntnisbasis nicht beachtet und berücksichtigt. Ja, man kann sagen, dass die Psychiatrie als Wissenschaft wegen diesem Indifferentism (Indifferentismus) ins Chaos geraten ist (vgl. mit Kant Zitat 10). Dies zeigte  sich z.B. im Rahmen der Präsentation der DSM-V Klassifikation durch die Einführung von neuen umstrittenen psychiatrischen Diagnosen. In der Psychiatrie der Gegenwart wird nämlich die ganz andere Basis des Wissens (noch) nicht beachtet und berücksichtigt. Es wird in diesem Bereich der Heilkunde noch nicht gebührend berücksichtigt, dass ihr Wissen durch Ideen begründetes und daher ideologisch begründetes Wissen ist. Dieser Mangel ist vom kritischen Publikum, also vom Publikum das im Sinne der Aufklärung (vgl. mit Kant Zitat 10aufgeklärt ist, allerdings bemerkt worden und es hat dies in den Medien zu berechtigter Kritik an der Psychiatrie und der psychiatrischen Wissenschaft geführt.

In gleicher Weise scheinen in der Psychiatrie auch die Fachleute, die das AMDP-System entwickelt haben, nicht zu beachten und zu berücksichtigen, dass es einen großen Unterschied macht, ob etwa ein Psychiater den psychischen Befund bzw. den psychopathologischen Befund erhebt oder ein Psychologe, insofern sie davon ausgehen dass  psychopathologische Begriffe unabhängig von der Profession im konkreten psychiatrischen Fall festgestellt werden können.

Es wird hier also ignoriert, dass jede Fachperson nur auf Grundlage ihrer fachlichen Ideen bzw. nur auf Grund ihrer persönlichen fachlichen Erfahrung und fachlichen Kenntnisse die psychischen Phänomene bestimmen kann. Wie man leicht einsieht, macht es nämlich einen großen Unterschied, ob ein solches Merkmal auf Grundlage der klinischen Erfahrung von einem Psychiater bestimmt wird, oder von einem Psychologen der mit der ärztlich-psychopathologischen Terminologie zwar vertraut sein mag, der jedoch nicht wie ein Facharzt für Psychiatrie auf der „Ebene der Ideen“ aus dem selben Ganzen (Karl Jaspers – vgl. mit Jaspers Zitat) durch das Vergleichen und Gewichten der Ideen (Ponderieren der Ideen im Sinne von Immanuel Kant) den psychischen Befund erheben kann.

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Weiteres zur Thematik der Diagnostik in meinem Buch:

Diagnostik, Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin

erschienen im Verlag tredition, April 2019

und in meinen anderen Publikationen und Präsentationen.

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(letzte Änderung 29.09.2022, abgelegt unter: Definition, Diagnostik, Forensik, Forensische Psychiatrie, Philosophie, philosophische Begriffe, Psychiatrie, Psychologie, Wissenschaft, psychiatrische Wissenschaft)

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