Kraepelin Zitat 7 : Einteilung der Geistesstörungen

Emil Kraepelin (1856 – 1926) schreibt in der sechsten Auflage seines Buches (1899):

“Bei weitem am häufigsten ist der Weg einer Eintheilung der Geistesstörungen nach ihren klinischen Zeichen eingeschlagen worden, weil die Erscheinungen des Irreseins dem Beobachter am unmittelbarsten in die Augen fallen. Auch dieses Verfahren stösst sehr bald auf Schwierigkeiten, sobald es gilt, das Wesentliche vom Zufälligen und Nebensächlichen zu unterscheiden. Es führt mit einer gewissen Notwendigkeit zur Überschätzung des einzelnen Merkmals, zu der Neigung, alle Krankeitsfälle zu einer Form zusammenzufassen, denen eine bestimmte auffallendere Störung gemeinsam ist. Die Geschichte der Psychiatrie ist voll von derartigen Verirrungen. Heute freilich sollte allein das Beispiel der Dementia paralytica lehren, dass es einzelne untrügliche Kennzeichen auf dem Gebiete des Irreseins schlechterdings nicht gibt, sondern dass nur das Gesammtbild eines Krankheitsfalles in seiner Entwicklung vom Anfang bis zum Ende die Berechtigung zur Vereinigung mit anderen gleichartigen Beobachtungen gewähren kann. Dieselben Einzelerscheinungen können sich, wie die Erfahrung zeigt, unter gewissen Umständen in sonst völlig auseinandergehenden Fällen einstellen, wie etwa Fieber, Husten, Brustschmerzen u.s.f. bei den verschiedenartigsten Lungenerkrankungen. Dazu kommt, dass uns bei der Unvollkommenheit unserer Forschungsmittel die vielleicht durchaus verschiedene Entstehungsweise und Bedeutung für wesensgleich gehaltener Erscheinungen gänzlich verborgen bleiben kann. Man denke nur an die Verwirrung, welche etwa ein Zusammenwerfen aller körperlichen Erkrankungen mit Albuminurie zur Folge haben würde! Besässen wir auf einem der drei Gebiete, der pathologischen Anatomie, der Aetiologie oder der Symptomatologie des Irreseins eine durchaus erschöpfende Kenntnis aller Einzelheiten, so würde sich nicht nur von jedem derselben her eine einheitliche und durchgreifende Eintheilung der Psychosen auffinden lassen, sondern jede dieser drei Gruppirungen würde auch – diese Forderung ist der Grundpfeiler unserer wissenschaftlichen Forschung überhaupt  – mit den beiden anderen wesentlich zusammenfallen.“ (Ende des Zitats)

aus:

Emil Kraepelin, Psychiatrie, Ein Lehrbuch für Studierende und Aerzte, Sechste Auflage (1899), II. Band. Allgemeine Psychiatrie, Mit einer Einführung von Paul Hoff, Seite 3 – 4,  Nachdruck, Arts & Boeve Verlang, Niederlande, ISBN 90 75341 16 4

 

(letzte Änderung 24.01.2020, abgelegt unter Diverses, Psychiatrie, Zitate)

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