abgeleitetes Wissen

Abgeleitetes Wissen ist Wissen das aus das aus anderem Wissen abgeleitet worden ist.

Oftmals ist abgeleitetes Wissen aus der Erfahrung abgeleitet worden. Es handelt sich in diesem Fall also um empirisches Wissen.

Vieles von dem was wir wissen ist abgeleitetes Wissen.

Wenn z.B. ein Richter auf der Grundlage eines glaubhaften Alibis zum Urteil gelangt, dass die angeklagte Person nicht der Täter sein kann, dann handelt es sich dabei um abgeleitetes Wissen. Weil der Richter bei den Vorkommnissen selbst nicht dabei war – er selbst also nicht unmittelbar Zeuge der Ereignisse war – kann er nur durch Schlussfolgerungen aus den vorgelegten Beweismitteln schließen, dass es so war.

Abgeleitetes Wissen unterscheidet sich daher vom Wissen das unmittelbar durch die Anschauung erlangt wird und objektiv gewiss ist. Solches Wissen wird auf der Grundlage von objektiver Evidenz erlangt.

Abgeleitetes Wissen das auf der Grundlage von Ideen erkannt wird, die aus der Erfahrung abgeleitet worden sind ist hingegen subjektives Wissen.

Man kann in vielen Fällen auch sagen, dass solches Wissen aus Theorien oder aus Modellen abgeleitet worden ist. (Weiteres dazu auf Poster 4: EMPIRICISM IN PSYCHIATRY VERSUS EMPIRICISM IN MEDICINE – IN THE LIGHT OF THE PHILOSOPHIES OF JOHN LOCKE, DAVID HUME AND IMMANUEL KANT)

Abgeleitetes Wissen ist also nur subjektiv evident, wohingegen anderes Wissen objektiv evident ist.

In der Medizin basiert vieles von dem was wir wissen auf abgeleitetem Wissen. Zum Beispiel ist das Wissen das durch statistische Studien erlangt wird abgeleitetes Wissen. Abgeleitetes Wissen ist daher für den konkreten Fall immer nur relativ gültig und nicht absolut gültig.

In der Psychiatrie ist praktisch alles Wissen abgeleitetes Wissen, weil in der Psychiatrie eine psychiatrische Idee nicht unmittelbar auf der Grundlage der sinnlichen Wahrnehmung erkannt wird, sondern auf der Grundlage der sinnlichen Wahrnehmungen und der Anwendung von Ideen, die auf den Sachverhalt projiziert werden (vgl. mit Kant Zitat 7 und Jaspers Zitat).

Man kann auch sagen: in der Psychiatrie wird das Wissen auf der Grundlage von psychiatrischen Konzepten erlangt, die auf psychische Erscheinungen projiziert werden. (vgl. mit Kant Zitat 7 und Jaspers Zitat)

Wenn in der Psychiatrie ein Untersucher z.B. zum Ergebnis gelangt, dass ein Patient „depressiv“ ist, dann hat er dieses Wissen aus der Schilderung des Patienten, also aus der Anamnese und aus der Beobachtung und aus der Anwendung einer psychiatrischen Klassifikation abgeleitet.

Erkenntnistheoretisch bzw. philosophisch betrachtet handelt es sich dabei also um eine „komplexe Idee“ (complex idea) im Sinn von David Hume (vgl. mit David Hume Zitat), oder man kann auch sagen es handelt sich um eine Idee, die auf der Grundlage der „internen Operationen unseres Geistes“ (internal Operations of our Minds) entstanden ist (vgl. mit John Locke Zitat), oder man kann in den Worten von Immanuel Kant sagen, dass es sich um eine bloße Idee (vgl. mit Kant Zitat 4) handelt.

Eine solche Idee ist zwar auf der Grundlage der Erfahrung erkannt worden bzw. entstanden und es hat sich eine solche Idee oftmals hinreichend bewährt (vgl. mit Kant Zitat 10), man kann jedoch solches Wissen – z.B. in der Psychiatrie und Psychologie – , weil es aus der Erfahrung abgeleitet worden ist nicht am Probierstein der Erfahrung prüfen (vgl. mit Kant Zitat 10) – eben, weil es auf der Grundlage einer  bloße Idee erkannt worden ist. (vgl. mit Kant Zitat 4)

Eine psychiatrische Idee wird also aus der Anamnese und dem psychiatrischen Befund abgeleitet. (vgl. mit Kant Zitat 7)

Abgeleitetes Wissen gründet sich also auf eine Idee, die auf der Grundlage der Erfahrung und auf der Grundlage des Wissens der Person erlangt wird. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Idee immer nur relativ gültig ist. Im Gegensatz dazu ist etwas, was unmittelbar aus der Anschauung in Bezug auf ein real existentes Objekt erkannt wird absolut gültig ist (vgl. mit Kant Zitat 7). Wenn jemand sagt 2 Äpfel und 3 Äpfel sind 5 Äpfel, dann ist dies unmittelbar evident und zwar im Sinn der objektiven Evidenz.

In diesem Sinn gibt es einen Unterschied im empirischen Wissen. Manch ein empirisches Wissen ist objektiv gültig, weil es unmittelbar durch das Objekt erkannt wird (vgl. mit Kant Zitat 9 und Kant Zitat 7) – dabei handelt es sich also um objektives Wissen. Wohingegen anderes Wissen zwar auch empirisches Wissen ist – es sich dabei aber nicht um Wissen von diesem Grad handelt, weil es nicht unmittelbar aus der Anschauung erlangt wird, sondern um ein Wissen, das auf der Grundlage der Anschauung und auf der Grundlage des in der Person vorbestehenden Wissens, also auf der Grundlage von komplexen mentalen Prozessen erlangt wird. Es handelt sich daher in einem solchen Fall um ein Wissen das primär nur für die Person – die es erlangt hat – gültig ist, weil das Wissen von Voraussetzungen abhängig ist, die im Subjekt gelegen sind. Mit anderen Worten es  handelt sich um subjektives Wissen das abgeleitetes Wissen ist.

Subjektives Wissen gilt nur auf der Ebene der Vorstellungen – die das Subjekt subjektiv gültig erlangt – wohingegen objektives Wissen auf der Ebene der Vorstellungen und auf der Ebene der Tatsachen – also auch auf der Ebene der physischen Objekte gültig ist.

Damit erkennt man, dass es einen grundlegenden Unterschied im Grad des Wissens gibt. Manch ein Wissen ist nur für das Subjekt gültig, während anderes Wissen für jedes Subjekt gültig ist, und daher solches Wissen objektives bzw. allgemein gültiges Wissen ist. (vgl. mit Kant Zitat 9)

Man erkennt damit, dass wissenschaftliches Wissen, das aus objektivem Wissen abgeleitet worden ist Wissen von höherem Grad ist, als das Wissen das aus subjektivem Wissen abgeleitet worden ist.

Immanuel Kant hat aufgezeigt, dass das Wissen, das aus objektivem Wissen abgeleitet worden ist – Wissen vom Grad der Annäherung zur Gewissheit ist – wohingegen  Wissen das aus subjektivem Wissen abgeleitet worden ist, Wissen vom Grad einer Scheinbarkeit im Vergleich zu einer anderen Scheinbarkeit ist (vgl. mit Kant Zitat 9b). Immanuel Kant unterscheidet demgemäß die mathematische Wahrscheinlichkeit von der philosophischen Wahrscheinlichkeit. (Weiteres dazu auf Poster 3: PROBABILITY IN MEDICINE AND IN PSYCHIATRY – IN THE LIGHT OF IMMANUEL KANT`S PHILOSOPHY)

Zum Beispiel beim psychiatrischen Wissen, wie es im Rahmen der psychiatrischen Wissenschaft auf dem Wege der statistischen Studien gewonnen wird, handelt es sich um Wissen im Sinn einer Scheinbarkeit im Vergleich zu einer anderen Scheinbarkeit. Würde man hergehen und auf ein und dasselbe Patientenkollektiv in einer Studie die Kriterien der ICD-10 Klassifikation als diagnostische Kriterien anwenden, und in einer anderen Studie z.B. die Kriterien der DSM-IV Klassifikation, oder die Kriterien einer älteren psychiatrischen Klassifikation, z.B. die Kriterien wie sie von Wilhelm Griesinger (vgl. mit diesem Beitrag) definiert worden sind, dann würde man sehen, dass dabei unterschiedliche Ergebnisse herauskommen. Man würde dann also sehen, dass die Anwendung der Methode der Statistik zu einer Scheinbarkeit im Vergleich zu einer anderen Scheinbarkeit führt.

Je unterschiedlicher die Kriterien der angewandten Klassifikationen sind, umso differenter sind die Ergebnisse der Studien. Damit wird deutlich, dass Wissen wie es auf der Grundlage von nicht physisch überprüfbaren Phänomenen (griechisch: phenomenon – das was erscheint, das Erscheinende) erlangt wird nur zu einer „Scheinbarkeit“ führt und daher solches Wissen prinzipiell einen geringeren Erkenntniswert hat, als Wissen das aus objektiven Faken bzw. aus objektivem Befunden abgeleitet worden ist. Damit wird deutlich, dass Wissen das auf der Grundlage einer Konvention erlangt wird – also dass Wissen das – philosophisch gesprochen – auf der Grundlage einer Dogmatik – also auf der Grundlage einer Ideenlehre – erlangt wird, von geringerem Erkenntniswert ist, als Wissen das auf der Grundlage von objektivem Tatsachen erlangt wird. (vgl. mit Kant Zitat 10)

In diesem Sinn ist das Wissen wie es in der körperlichen Medizin aus medizinischen Tatsachen bzw. aus objektiven medizinischen Befunden abgeleitet wird zwar auch eine Form von abgeleitetem Wissen – aber es ist ein Wissen von höherem Grad und von höherem Erkenntniswert als das Wissen, das auf der Grundlage von Symptomen und auf der Grundlage von nicht objektivierbaren Phänomenen gewonnen wird.

Diese Tatsache wird gegenwärtig in der psychiatrischen Wissenschaft und im Rahmen der Präsentation der Studien der psychiatrischen Wissenschaft  – jedenfalls in der Psychiatrie – (noch) nicht berücksichtigt.

Tatsächlich werden im Rahmen der Präsentationen von psychiatrischen Studien bei psychiatrischen Kongressen psychiatrische Daten gegenwärtig so präsentiert wie Daten die in der Medizin auf der Grundlage von objektiven Fakten erlangt worden sind.

Es wird also gegenwärtig in der psychiatrischen Wissenschaft und auch in der medizinischen Wissenschaft nicht unterschieden und nicht berücksichtigt auf welcher Erkenntnisbasis das jeweilige Wissen erlangt worden ist.

Wie man jedoch sieht ist abgeleitetes Wissen, das aus subjektivem Wissen abgeleitet worden ist, nicht vergleichbar mit Wissen das aus objektivem Wissen abgeleitet worden ist. Das heißt der Grad des Wissens ist verschieden je nach dem auf welcher Grundlage bzw. auf welcher Erkenntnisbasis das Wissen erlangt worden ist.

Daher wird in der Wissenschaft nach objektiven Kriterien gesucht. Wäre das Wissen, das aus subjektiven Kriterien abgeleitet wird gleich viel wert – dann könnte man sich die Suche nach objektiven Kriterien ersparen. Man erkennt damit die Ursache der Widersprüche (Antinomien) in die die psychiatrische Wissenschaft geraten ist, wenn man beachtet dass objektives Wissen nicht gleich subjektives Wissen ist. (vgl. mit Kant Zitat 2, Kant Zitat 3, Kant Zitat 10, Kant Zitat 22 und Jaspers Zitat)

Daher muss sich eine Wissenschaft – und hier insbesondere die psychiatrische Wissenschaft – weil sie diesen Unterschied in der Erkenntnisbasis nicht beachtet – den Vorwurf gefallen lassen, dass sie in dieser Hinsicht noch nicht im Sinn der Aufklärung aufgeklärt ist – jedenfalls so lange muss sie sich diesen Vorwurf gefallen lassen, bis sie die Unterschiede in der Erkenntnisbasis im Rahmen ihrer Studien und im Rahmen der Präsentation ihrer Studien nicht berücksichtigt.

Das hat z.B. konkret zur Folge, dass die Leitlinien wie sie aus den statistischen Studien in der Medizin und in den wissenschaftlichen Studien in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) auf der Grundlage der unterschiedlichen Erkenntnisbasis abgeleitet worden sind einen unterschiedlichen Wert haben.

Weil abgeleitetes Wissen immer beschränktes Wissen ist sollte man solches Wissen nur relativistisch verwenden.

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(letzte Änderung 13.08.2020, abgelegt unter: Definition, Wissen, abgeleitetes Wissen)

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