Psychiatrie – eine dialektische Disziplin

Die Psychiatrie ist eine dialektische Disziplin.

Man verkennt das Wesen der Psychiatrie, wenn man glaubt, dass die Psychiatrie auf eine biologische Basis gestellt werden kann.

Emil Kraepelin hat sich getäuscht, als er geglaubt hat dass die psychiatrische Wissenschaft sich zu einem kräftigen Zweig der medicinischen Wissenschaft fortentwickelt. (vgl. mit Kraepelin Zitat 2)

Wenn man die Psychiatrie als gleichartige Disziplin wie die Medizin ansieht, dann hat man sich getäuscht, dann verkennt man dabei den großen Unterschied zwischen einem mentalen Objekt und einem physischen Objekt (vgl. mit Kant Zitat 7).

Ein mentales Objekt bzw. ein mentales Erkenntnisobjekt kann man nur auf der Ebene der Vorstellungen durch den Begriff der Idee bzw. angenähert nur durch das Schema der Idee erkennen (vgl. mit Kant Zitat 7 und Jaspers Zitat).

Ich kann als Psychiater / Psychiaterin die unterschiedlichen psychischen Störungen daher nur in Bezug auf definierte Typen erkennen (vgl. mit Jaspers Zitat), wohingegen ein Arzt in der Medizin viele gesundheitliche Störungen (Krankheiten) auf Basis der Zugehörigkeit zu Gattungen diagnostizieren und daher allgemein gültig bestimmen kann.

Während man in der Medizin also viele Krankheiten und Krankheitszustände objektiv gültig bestimmt werden kann, ist eine psychische Störung auf der Grundlage der psychischen Erscheinungen nur subjektiv gültig bestimmbar.

Mit anderen Worten: viele medizinische Diagnosen sind allgemein gültig bestimmbar, bei einer psychiatrischen Diagnose ist dies jedoch grundsätzlich nicht möglich.

Man verkennt die Basis der Psychiatrie bzw. des psychiatrischen Wissens, wenn man glaubt eine psychiatrische Diagnose physisch also körperlich begründet bestimmen und daher objektivieren zu können (Weiters dazu auf Poster 6: Diagnosis in Psychiatry – the Role of Biological Markers – an investigation in the light of Immanuel Kant`s philosophy).

Es ist – und wird auch so bleiben – wie Karl Jaspers gesagt hat – eine psychiatrische Idee ist eine Idee im Sinn vom Immanuel Kant (vgl. mit Jaspers Zitat).

Es handelt sich also bei einer psychiatrischen Idee um eine Idee, die zwar auf der Grundlage der Erfahrung – also empirisch entstanden ist – die man jedoch nicht physisch überprüfen kann. Man kann sich einer solchen Idee durch das Schema der Idee nur nähern (vgl. mit Jaspers Zitat) – erreichen bzw. objektiv (körperlich respektive biologisch begründet) bestimmen, kann man sie nicht.

Man missversteht eine psychologische Idee und damit auch eine psychiatrische Idee, wenn man glaubt eine solche bloße Idee objektivieren zu können.

Daher waren bisher alle Versuche in der psychiatrischen Wissenschaft vergeblich biologische Marker zu finden um eine psychiatrische Diagnoseauf der Grundlage von physischen Parametern (biologischen Marker) physisch zu bestimmen.

Dies ist prinzipiell unmöglich.

Wenn man dies erkannt hat, dann wird man sich nicht mehr vergeblich bemühen biologische Marker zu finden, wo es keine solchen Marker zu finden gibt (Weiteres dazu auf Poster 6).

Hingegen wird man sich dann bemühen die psychiatrischen Ideen – und selbstverständlich auch die psychologischen Ideen und auch die psychotherapeutischen Ideen – richtig, nämlich relativistisch zu verwenden. (vgl. mit Kant Zitat 4)

Gerade dieser richtige Gebrauch einer Idee ist im Gefolge des falschen Verstehens der Ideen zum großen Problem der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) der Gegenwart geworden.

Wenn man glaubt gesichertes Wissen erlangen zu können, wo man aus prinzipiellem Grund kein gesichertes Wissen erlangen kann, dann führt dies zu Problemen.

Dieses Missverstehen der Ideen hat zu verschiedenen Problemen geführt.

Es führt dies unter anderem zu Widersprüchen (Antinomien) (vgl. mit Jaspers Zitat) und zu unergiebigen fachlichen Diskussionen – wie sie seit vielen Jahren an psychiatrischen Kongressen zu beobachten sind.

Man bemüht sich in der Psychiatrie und Psychologie vergeblich mit entwickelten „Instrumenten“ valides und reliables Wissen also gültiges und verlässliches psychiatrisches (psychologisches und psychotherapeutisches) Wissen zu erlangen, wo tatsächlich ein solches Wissen niemals erlangt und „gesichert“ werden kann und man niemals allgemein gültiges Wissen erlangen kann.

Man ignoriert in der Psychiatrie der Gegenwart, dass in gewissen Bereichen des menschlichen Wissens nur angenähertes und beschränktes Wissen erlangt werden kann.

Die psychiatrische Wissenschaft – und auch die psychologische und psychotherapeutische Wissenschaft versuchen vergeblich statistisch gesichertes Wissen zu erlangen, wo dies, wenn man die Basis des Wissens verstanden hat, als grundsätzlich unmöglich erkannt wird (vgl. mit Kant Zitat 10).

Man verkennt den Erkenntniswert einer psychologischen / psychiatrischen / psychotherapeutischen Idee, wenn man nach solchen Zielen strebt.

Aus diesem Missverständnis der psychiatrischen Ideen resultieren die nachteiligen Folgen mit denen die Psychiatrie als Disziplin der Heilkunde seit langem konfrontiert ist und die die Existenz der Psychiatrie als empirische Wissenschaft bedrohen.

In gleicher Weise sind auch die Psychologie und die Psychotherapie mit den Folgen der falschen Verwendung ihrer Ideen konfrontiert.

Vorhersehbar wird die Psychiatrie als Wissenschaft früher oder später die Basis ihres Wissen und damit ihre  Erkenntnisbasis anerkennen müssen bzw. kann sie sie nicht länger ignorieren und verleugnen – und so tun als, ob die psychiatrischen Erkenntnisse – so wie die medizinischen Erkenntnisse auf einer biologischen Grundlage stehen.

Das heißt man kann von Transmittern, Receptoren, Nervenzellen und dergleichen reden – und so tun als ob man auf der  Grundlage dieses biologischen Wissens die psychiatrischen Erkenntnisse erlangt – man wird jedoch nicht soweit kommen, dass man eine einzige psychische Störung auf der Grundlage der Körperlichkeit objekiv bestimmen kann. Man kann nur manch eine psychische Störung durch körperliche Befunde erklären – wenn man sie bereits davor auf der Grundlage der psychischen Symptome und psychischen Phänomene bestimmt hat – aber objektiv bestimmen kann man sie durch körperliche Befunde nicht. (Weiteres dazu auf Poster 6)

Man wird auch in hundert Jahren und später noch die psychiatrischen Diagnosen auf der Basis der psychischen Phänomenen respektive psychopathologischen Phänomene feststellen – egal wie viel biologische Forschung zwischenzeitlich in der psychiatrischen Wissenschaft betrieben wird – und egal wie viel Revisionen der psychiatrischen Klassifikationen zwischenzeitlich noch stattfinden werden. Die Psychiatrie wird auch zukünftig sich grundsätzlich von den anderen Disziplinen der Heilkunde unterscheiden.

Kurz gesagt man wird die Dialektik in der Psychiatrie nicht entbehren können.

Man wird auch zukünftig psychiatrisches Wissen auf der Grundlage des Vergleichs von (bloßen) Ideen erlangen.

Man wird auch zukünftig psychiatrisches Wissen auf der Grundlage von bloßen Ideen im Sinne von Immanuel Kant gewinnen – egal ob man sich dessen bewusst ist oder nicht.

Tatsächlich sind die psychiatrischen Ideen – und auch die psychologischen Ideen – und auch die psychotherapeutischen Ideen – bloßen Ideen – egal ob sich die Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) darum kümmert – oder dies gerne anders hätte.

Es wird der Psychiatrie also vorhersehbar nicht gelingen sich mit der Medizin in Bezug auf die Erlangung ihrer Erkenntnisse auf gleicher Augenhöhe zu treffen.

Vorhersehbar kann die Psychiatrie dies niemals erreichen – und sollte sie vielmehr ihre Eigenheiten erkennen und anerkennen – um auf dieser Basis das Bestmögliche für ihre Patienten zu tun. (vgl. mit Kant Zitat 4, Kant Zitat 2, Kant Zitat 3, und Kant Zitat 22)

Gerade in dieser Andersartigkeit findet sich der Reiz und die Faszination der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) – allerdings sollte man gleichzeitig auch anerkennen, dass die Erkenntnismöglichkeiten und damit die Erkenntnisse in diesen Bereichen beschränkt sind. Man kann in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) eben nur beschränktes Wissen erlangen.

Man kann also in der Psychiatrie (Psychologie und Psychotherapie) kein so gesichertes Wissen erlangen, wie dies in der Medizin in Teilbereichen möglich ist. Dafür ist das psychiatrische Wissen jedoch ein flexibles und dynamisches Wissen und kann man daher in der Psychiatrie das Wissen unter den verschiedensten Gesichtspunkten auffassen, verstehen (vgl. mit Jaspers Zitat 11) und unter Umständen erklären.

Es gibt also in der Psychiatrie (Psychologie / Psychotherapie) kein abgeschlossenes absolutes Wissen, sondern ein offenes und relatives Wissen.

Psychiatrisches Wissen ist subjektives Wissen und kein objektives Wissen – dafür ist es jedoch unendlich dynamisch und flexibel – und daher faszinierend – wenn man es richtig versteht.

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Weiteres, insbesondere über die Konsequenzen, finden Sie im blog: Konsequenzen.

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(letzte Änderung 04.07.2017, abgelegt unter Dialektik, Konsequenzen, Psychiatrie, psychiatrische Wissenschaft, psychotherapeutische Wissenschaft)

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