psychiatrische Diagnose – dialektisch definiert

Eine psychiatrische Diagnose ist dialektisch definiert.

Überhaupt sind psychische Phänomene dialektisch definiert. Psychische Phänomene definieren sich durch ihre Gegensätze.

„depressiv“ definiert sich gegenüber der „normalen Stimmung“

oder gegenüber der „manischen Stimmung“.

Die „Antriebsstörung“ definiert sich gegenüber dem „normalen Antrieb“ oder gegenüber dem „gesteigerten Antrieb“, desgleichen „Lustlosigkeit“, desgleichen eine „formale Denkstörung“, desgleichen eine „inhaltliche Denkstörung“  usf.

In gleicher Weise wie die einzelnen psychischen Phänomene dialektisch definiert sind, sind auch die psychischen Symptomenkomplexe der psychischen Störungen innerhalb einer psychiatrischen Klassifikation dialektisch definiert. Daher kann im konkreten Fall die  psychiatrische Diagnose durch die psychiatrische Kategorie (dieser Klassifikation) durch das Schema der Idee in Bezug auf die (definierten) Typus (vgl. mit Jaspers Zitat) bestimmt werden.

Auch die psychologischen Ideen und die psychopathologischen Ideen (die sämtliche komplexe Ideen sind) sind dialektisch definiert.

In diesem Sinn hat Wilhelm Griesinger (1817-1886) in seinem Buch „Pathologie und Therapie der Psychischen Krankheiten“ die drei Einheiten psychische Depressionszustände, psychische Exaltationszustände und psychische Schwächzustände dialektisch definiert. (Weiteres dazu in diesem Beitrag)

Ausgehend von diesen drei Einheiten hat Griesinger weitere Untergruppen gebildet und es sind schließlich aus dieser ersten Nosologie im deutschen Sprachraum modifizierte und weiter entwickelte Nosologien bzw. im Hinblick auf die psychiatrische Diagnostik weitere psychiatrische Klassifikationen hervorgegangen.

All diese Klassifikationen entstanden auf dialektischer Basis. (Weiteres dazu mit Illustrationen auf Poster 5: Classification in Psychiatry und in meinem Buch: Diagnostik Klassifikation und Systematik in Psychiatrie und Medizin (2019)).

In diesem Sinn sind Ideen in Bezug auf die Psyche grundsätzlich und daher immer dialektisch definiert. Man kann Psychisches nur auf der Ebene der Vorstellungen, also nur auf der Ebene des Bewusstseins erfassen. Man kann – philosophisch gesprochen – psychische Phänomene nur auf der Ebene der Ideen bzw. mit Hilfe der zugehörigen Kategorien erfassen. Oder wie es der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers auf der Grundlage der Philosophie von Immanuel Kant formuliert hat: nur unter Führung von Ideen durch das Schema der Idee erkennen. Dabei kann ich das Ganze als Idee aber nicht geradezu erkennen (vgl. mit Jaspers Zitat).

Nur sekundär kann man bei gewissen psychischen Phänomenen körperliche Faktoren bzw. physische Parameter unter Umständen ausfindig machen.

Die psychischen Phänomene als solche kann man also nicht „physisch“ begründet in der Diagnostik bestimmen, sondern in gewissen Fällen nur physisch begründet erklären. Man kann also die Ursache von manch einer psychischen Störung physisch begründet verstehen und dadurch biologisch begründet erklären (z. B. ein organisches Psychosyndrom, oder eine psychische Störung vom Typ einer Schizophrenie).

Daher kann man grundsätzlich psychische Phänomene nicht „physisch“ (physikalisch, chemisch, biochemisch, biologisch, bildgebend usf.) in der Diagnostik bestimmen bzw. kann man die psychischen Symptomenkomplexe nicht objektivieren (Weiteres dazu auf Poster 6: Diagnosis in Psychiatry – the Role of Biological Markers – an investigation in the light of Immanuel Kant`s philosophy und in meinem Buch).

Ein psychisches Phänomen ist grundsätzlich ein ganz anderes Erkenntnisobjekt als ein körperliches Objekt  – einen Gegenstand in der Idee können wir nicht körperlich bzw. nicht physisch (objektiv) bestimmen – hingegen ist dies in der Regel bei einem Gegenstand schlechthin möglich (vgl. mit Kant Zitat 7).

Karl Jaspers hat dies erkannt und in seinem Buch: „Allgemeine Psychopathologie“ ab der 4. Auflage (1946) aufgezeigt, nämlich dass man in der Psychiatrie die diagnostischen Einheiten nur in Bezug auf Typen und nicht in Bezug auf Gattungen erkennen und bestimmen kann (vgl. mit dem Jaspers Zitat).

Dies hat zur Folge, dass man in der Psychiatrie die diagnostischen Einheiten grundsätzlich nur subjektiv gültig bestimmen kann, wohingegen in den Naturwissenschaften und so auch in einem Teilbereich der Medizin viele Einheiten/Parameter/Befunde – in Bezug auf  Gattungen objektiv gültig bestimmbar sind.

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(letzte Änderung 04.10.2019, abgelegt unter: Diagnostik, psychiatrische Diagnose, Dialektik, Konsequenzen, Psychiatrie)

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